Datum: 05.12.2016

„Den Verbraucher gibt es nicht“

Fünf Fragen an … Prof. Andreas Oehler, Direktor der Forschungsstelle Verbraucherfinanzen & Verbraucherbildung an der Universität Bamberg

(c) Kai Oberhäuser - unsplash.com - CC0 Public Domain

In der Verbraucherpolitik spielt das Leitbild des selbstbestimmt handelnden Verbrauchers eine zentrale Rolle. Gibt es „diesen“ Verbraucher? Nein, sagt Prof. Dr. Andreas Oehler. Was das für die Verbraucherbildung bedeutet, erklärt er im Interview.

1. Herr Prof. Oehler, Sie sagen, „DEN Verbraucher“ gibt es nicht. Wie meinen Sie das?

So wie es DEN Menschen nicht gibt, so auch nicht DEN Verbraucher. Wir alle zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen. Ein gesellschaftliches und politisches Verbraucherleitbild sollte also differenzieren, entsprechend dem Stand der Forschung zwischen „vulnerable“, „confident“ und „responsible“. Gleichzeitig sollte vermieden werden, dass eine solche Differenzierung zur Diskriminierung missbraucht wird, etwa, dass ein und dieselbe Person stets nur „vulnerable“ wäre. Die meisten von uns zeigen täglich alle drei Verhaltensmuster.

2. Wo trägt ein vereinfachendes Bild vom Verbraucher dazu bei, dass er nicht angemessen informiert wird?

In allen existentiellen Lebensbereichen wie Gesundheit oder Finanzen führt die Reduktion auf den durchschnittlichen Einheitsverbraucher dazu, dass Verbraucherinformation nur wenig tauglich aufbereitet ist. Viele Verbraucher müssen sich an einem kaum realistischen Modell des wohlinformierten Verbrauchers messen lassen.

3. Was sind die Folgen?

Eine gravierende Folge im Bereich Verbraucherfinanzen ist, dass das vorhandene Interesse zerstört und auch jungen Menschen spürbar erschwert wird, die vorhandene Financial Literacy einzusetzen. Wenn ich unverständliche und nicht vergleichbare Produktinformationen erhalte, dann werden sachgerechte Entscheidungen behindert. Auch gibt es viele Finanzprodukte, die kaum oder wenig reguliert sind, ohne dass dies Verbraucher vor einer wichtigen Entscheidung tatsächlich merken könnten.

4. Was heißt das für die Vermittlung von Verbraucherbildung?

Schulische Verbraucherbildung könnte die genannte Differenzierung aufnehmen und dazu ermutigen, Stärken zu erkennen bzw. Schwächen zu reduzieren. Dazu würde gehören, nicht den Eindruck zu vermitteln, man könne stets alles wissen oder mangelndes Wissen sei nur ein persönliches Defizit. Dieses „Mündigkeits“-Modell ist sogar gefährlich.

5. Inwiefern? 

Es erzeugt die Illusion, jede und jeder könnte immer alles wissen und tun, obwohl wir alle dies angesichts unseres Zeitbudgets gar nicht leisten können oder wollen. Es braucht eine Förderung von Risikoverständnis & Selbstkontrolle: (a) Basis-Wissen über die relevanten Fakten und Zusammenhänge in der analogen und digitalen Welt (Risikoverständnis); (b) Fertigkeiten, um in den lebenswichtigen Bereichen selbst kontrollieren zu können (steuern, statt gesteuert zu werden).  Verbraucherfinanzen zu regeln ist für viele Verbraucher und Situationen einfacher als ihnen suggeriert wird. Es wird ein Basisportfolio aus wenigen Bank- und Versicherungsprodukten benötigt, ggf. wenige weitere in einem Zusatzportfolio, wenn genügend Einkommen verfügbar ist.