Datum: 01.12.2011

Die große Lebensmittelverschwendung

Voll im Eimer

(c) picjumbo - CC0

In Deutschland landen tagtäglich Tausende Tonnen frisches Brot, Gemüse, Obst, Fisch oder Fleisch im Müll.

Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz (BMELV) wirft jeder Deutsche jedes Jahr Lebensmittel im Wert von 330 Euro weg. Bis zu 20 Millionen Tonnen Nahrungsmittel werden so vergeudet. Das liegt nicht nur, aber auch an den Verbrauchern, die im Supermarkt immer die ganze Warenpalette vorfinden wollen, und die soll möglichst perfekt aussehen. Handel und Hersteller verdienen daran gut. Die Lasten tragen Menschen andernorts. 

 Welches Ausmaß die Lebensmittelverschwendung in Deutschland angenommen hat, dokumentiert der TV-Film „Frisch auf den Müll“: Er zeigt, dass Bauern und Supermärkte Kartoffeln und andere Nahrungsmittel schon aussortieren, wenn sie nur kleine Dellen aufweisen; Lebensmittelhersteller mehr Rohstoffe einkaufen, als sie benötigen, damit sie ihre Anlagen auch bei Problemen mit der Zulieferung auslasten können; viele Verbraucher mehr einkaufen, als sie die Woche über benötigen, begünstigt durch die niedrigen Lebensmittelpreise in Deutschland.

 Was übrig bleibt, wird weggeworfen. Unter den 20 Millionen Tonnen Lebensmittel, die in Deutschland jedes Jahr diesen Weg gehen, finden sich laut BMELV auffallend viele verpackte, ungeöffnete Nahrungsmittel. Weltweit sieht es nicht viel besser aus. Laut Welternährungsorganisation FAO landen in den Industriestaaten jedes Jahr mehr als 220 Millionen Tonnen Essen im Müll. 

 Verschwendung kostet Geld, Ressourcen, Lebenschancen

 Exakte Zahlen über das wirkliche Ausmaß der Lebensmittelverschwendung gibt es in Deutschland noch nicht. Das BMELV arbeitet an einer nationalen Wegwerf-Studie, die genauer über die Lage informieren und mögliche Lösungen nennen soll. In Großbritannien hat die Regierung das bereits vor drei Jahren gemacht. Dort zeigte sich, dass im gesamten Königreich täglich sieben Millionen Scheiben Brot, 4,4 Millionen Äpfel und 1,3 Millionen Joghurts im Müll landen, ungegessen. Die Kosten für deren Entsorgung belaufen sich auf 1,2 Milliarden Euro im Jahr.

 Verschwendung kostet Staat und Verbraucher aber nicht nur Geld. Sie heizt auch die Atmosphäre auf, da die Lebensmittelproduktion Energie braucht und CO2 verursacht, und sie verschärft den weltweiten Wassermangel: Das Stockholm International Water Institute, eine schwedische Denkfabrik, hat vor drei Jahren in einer Studie ausgerechnet, wie viel Wasser durch die Verschwendung von Lebensmitteln allein in den USA verloren geht. Dort wandern dieser Untersuchung zufolge jedes Jahr 30 Prozent der Lebensmittel in die Tonne. Die Forscher sagen, das sei so, als ob man einen Wasserhahn aufdrehe und 40 Billionen Liter Wasser in den Abfluss fließen lasse.

 Zugleich treibt das Wegwerfen von Nahrung den weltweiten Run auf freie Ackerflächen an, auf denen die Rohstoffe für die Lebensmittelproduktion angebaut werden. Maedieng Seck, Agrarexperte aus dem Senegal, sagt, sein Land exportierte „jährlich 35 Millionen Kilo Gemüse und 20 Millionen Kilo Fisch nach Europa, wovon vieles dann einfach weggeworfen wird“. Europäische Verbraucher sollten bedenken, dass Anbauflächen, die in armen Ländern für die Produktion von Exportgütern genutzt werden, der Bevölkerung vor Ort für ihre eigene Versorgung fehlen.

 Politische Aufmerksamkeit wächst

 Unterm Strich ist diese Verschwendung eine Bankrotterklärung – eine moralische, ökologische, wirtschaftliche und politische. Nicht zuletzt durch Filme wie „Frisch auf den Müll“ ist das Thema 2011 auf der politischen Agenda nach oben gerückt. Der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments hat jüngst die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Verschwendung von Lebensmitteln bis 2025 um die Hälfte zu reduzieren. Der Deutsche Bundestag befasste sich im Oktober mit dem Thema.

 Hans-Michael Goldmann, Vorsitzende des Ernährungsausschusses des Bundestages, sagt, um das Wegwerfen von Nahrungsmitteln einzudämmen, könnte zum Beispiel über eine präzisere Formulierung des missverständlichen Begriffs Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) auf Lebensmittelverpackungen nachgedacht werden. Beim MHD handele es sich nicht um ein Verfallsdatum. Es sei „eine Gütegarantie, bis zu diesem Termin sind Lebensmittel bei ungeöffneter Verpackung und sachgerechter Aufbewahrung ohne wesentliche Geschmacks- und Qualitätseinbußen sowie gesundheitliches Risiko zu konsumieren“.

 Das wüssten aber viele Verbraucher nicht. Zusätzlich Verwirrung stifte, dass die Festlegung des MHD im Ermessen der Hersteller liegt, weshalb sie bei gleichartigen Produkten unterschiedlicher Firmen differieren kann. „Beispielsweise ist bei Milch nicht genau geregelt, wie lange sie haltbar ist“, so der Freidemokrat. „Das entscheiden die Hersteller individuell anhand eigener Versuchsreihen.“ Nach einer Forsa-Umfrage aus dem Frühjahr 2011 werfen 84 der befragten Deutschen Lebensmittel weg, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen oder die Ware verdorben ist.

 Viele Verbraucher drückt das schlechte Gewissen

 In der vom Bundesverbraucherschutzministerium beauftragten Erhebung nannten weitere 19 Prozent zu große Lebensmittelverpackungen als Hauptgrund für das Wegwerfen eigentlich noch essbarer Lebensmittel. Rund ein Viertel gab an, zu viel gekauft zu haben. 69 Prozent der Befragten plagte beim Wegwerfen von Lebensmitteln ein schlechtes Gewissen.

 Es sind nicht nur die niedrigen Lebensmittelpreise und zu großen Verpackungen, die das Wegschmeißen von Nahrungsmitteln begünstigen. „Viele Menschen haben schlichtweg verlernt, wie sie Lebensmittelreste sinnvoll verwerten können“, sagt Bundesverbraucherschutzministerin Aigner. Tipps für Verbraucher zum sparsamen Umgang mit Lebensmitteln hat das Ministerium im Internet veröffentlicht, unter der Adresse jedes-mahl-wertvoll.de.

 Im Grunde, sagt Aigner, sei es ganz einfach: Mahlzeiten richtig planen, Notizen machen für den Einkauf, regelmäßig Vorräte auf Haltbarkeit kontrollieren und Reste verwerten. Lebensmittel seien keine Waren wie alle anderen. Sie seien Mittel zum Leben. „Und deshalb“, so die Ministerin „haben sie unsere tägliche Wertschätzung verdient: Wir müssen den Wert von Lebensmitteln besser zu schätzen wissen.“ Aufklärung darüber tut not. Das europäische Parlament will deswegen das Jahr 2013 zum Europäischen Jahr gegen Nahrungsmittelverschwendung erklären.

 Lebensmittelverschwendung – auch ein Thema für den Unterricht

 Wertschätzung setzt Wissen über Werte voraus. Das gilt auch für Lebensmittel und die Werte, die mit deren Verschwendung verletzt werden. Lehrerinnen und Lehrer, die diese Zusammenhänge im Unterricht aufgreifen wollen, finden auf verbraucherbildung.de zahlreiche Anregungen. Im Online-Materialkompass des Schulportals können sie mit drei Klicks Unterrichtsideen und -materialien recherchieren und für den Unterricht nutzen.

 Dort finden sich zum Beispiel Unterrichtseinheiten und -materialien zum Haltbarmachen von Lebensmitteln, zur sinnvollen Portionierung von Mahlzeiten, zur Entstehung individueller Essgewohnheiten, zu Einflüssen auf Konsumentscheidungen oder zum angemessenen Umgang mit dem knappen Lebensmittel Wasser. Einige von unabhängigen Bildungsexperten mit „sehr gut“ bewertete Unterrichtsmaterialien haben wir für Sie in einer eigenen Meldung zusammengestellt.

 Autor: Thomas Wischniewski, freier Journalist.