Datum: 03.04.2012

Die Lebensnähe weckt das Schülerinteresse

Interview mit Birgit Plechinger, Konrektorin der Peter-Schöllhorn-Schule, Neu-Ulm, zur Verbraucherbildung in ihrer Schule

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Ökonomische Verbraucherbildung wird in Bayern seit dem Schuljahr 2010/2011 an ausgewählten Modellschulen nach einem eigenständigen Lehrplan unterrichtet. Erste Erfahrungen liegen inzwischen vor.

Wirtschaft(en), Werbung, Konsum – um Schülerinnen und Schüler fit für ihre Rolle als Verbraucher zu machen, werden in Bayern seit dem Schuljahr 2010/2011 Inhalte der ökonomischen Verbraucherbildung an ausgewählten Modellschulen unterrichtet, unter anderem an der Peter-Schöllhorn-Schule im schwäbischen Neu-Ulm. Koordiniert wird der Modellversuch dort von Birgit Plechinger, der Konrektorin der Mittelschule. Welche Erfahrungen sie in den vergangenen anderthalb Jahren mit der schulischen Verbraucherbildung gemacht hat, wie die Themen und Inhalte im Kollegium und bei den rund 260 Schülern ankommen, erklärt sie im Interview.

Frau Plechinger, wo knüpfen Sie mit Verbraucherthemen im Unterricht an?

Verbraucherthemen sind im Lehrplan der bayerischen Haupt- und Mittelschulen bereits seit 2004 verankert. Leitfach ist dafür das Fach Arbeit-Wirtschaft-Technik (AWT). Im Zuge der Ausarbeitung des neuen Lehrplans sollen diese nun den aktuellen Gegebenheiten, d.h. den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen  angepasst werden. Der Vermittlung von Alltagskompetenzen wird darin durchgängig Platz eingeräumt, von der fünften bis zur zehnten Klasse.

Wie sieht das konkret aus?

Weiterführend von der Grundschule lernen die Schülerinnen und Schüler in der 5. und 6. Klasse beispielsweise ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu hinterfragen, zu bewerten, mit anderen zu vergleichen. Werbung ist hier ein großes Thema. Und natürlich, wie man selbst verantwortlich Handeln kann. Es geht uns nie nur um die Wissensvermittlung. Es geht uns immer auch um Kompetenzen – also Wissen in verschiedenen Situationen anwenden zu können.

Spielen neben AWT weitere Fächer eine Rolle bei der Kompetenzvermittlung?

Eigentlich alle – je nach Thema. Es ist auch ein zentrales Element des Schulversuchs, dass die Ökonomische Verbraucherbildung fächerübergreifend angelegt wird. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel in den 5. und 6. Klassen fächerübergreifend zu Schokolade gearbeitet: Wo kommt sie her, wer stellt sie her, unter welchen Bedingungen? Das war Thema in AWT, aber auch in anderen Fächern. Im Deutschunterricht haben die Schüler sich mit Texten, Filmen, Hörbeispielen schlaugemacht, die Ergebnisse dokumentiert und verglichen. Im Matheunterricht berechneten sie Transportwege und die anfallenden CO2-Emissionen, im Religionsunterricht wurde der Aspekt der Kinderarbeit behandelt.

Was steht sonst noch auf den Stundenplänen?

In der 7. Klasse machen wir viel zum Einkaufen im Supermarkt, inklusive einer Vor-Ort-Begehung. Da werden Mogelpackungen unter die Lupe genommen, auch Inhaltsstoffe von Produkten, deren Herkunft. Verpackungen sind ein großes Thema, wie man Müll vermeidet. Das ist alles im Lehrplan AWT für die 7. Klasse verankert. Weil man diese Themen nicht in der einen Wochenstunde, die dafür in AWT zur Verfügung steht, abhandeln kann, arbeiten wir fächerübergreifend.

Eine Wochenstunde Verbraucherbildung – reicht das?

Wir wollen ja ganz bewusst wegkommen von einer Fächerzuweisung. Alle Fächer müssen ins Boot genommen werden. Das ist an der Grund- und der Mittelschule relativ einfach,

da AWT bei uns in der Regel vom Klassenleiter unterrichtet wird. Damit finden Themen der Verbraucherbildung auch Eingang zum Beispiel im Deutschunterricht. Anhand welcher Themen die Klassenlehrer Lesekompetenz schulen, bleibt ja weitgehend ihnen überlassen.

Wo haben Ihre Schüler eigentliche Probleme in ihrer Rolle als Konsument?

Vielen fehlt der Bezug zum Geld. Rund 70 Prozent unserer Schüler bekommen kein Taschengeld. Verantwortungsvolles Haushalten können sie kaum einüben. Gleichzeitig stehen sie durch die Werbung und die Gesellschaft unter einem hohen Konsumdruck. Besitz entscheidet heute oft über Status.

Verbraucherbildung im Unterricht kann das ändern?

Verbraucherbildung führt zu einem schärferen Problembewusstsein. Den Druck, dem Schüler bei der Auswahl ihrer Kleidung ausgesetzt sind, muss man ihnen erst klar machen. Das geht zum Beispiel in einer Diskussion über Sinn und Zweck von Schuluniformen im Englischunterricht. Aber ohne die Mitwirkung der Elternhäuser können wir das Ruder nicht herumreißen. Wir können gegensteuern. Verantwortlicher Konsum muss auch zuhause vorgelebt werden.

Wofür werben Sie im Unterricht?

Eben dafür – für einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Konsum. Mit den 9. Klassen waren wir zum Beispiel kürzlich auf Erkundungstour im Supermarkt und auf dem Wochenmarkt, haben die Schüler dort Lebensmittelpreise vergleichen lassen, Inhaltsstoffe, den Herkunftsort. Die Vorteile regionaler oder ökologisch hergestellter Produkte erschließen sich ihnen dann in der Regel schnell. Und die Schüler finden Regionalität und Nachhaltigkeit im Prinzip auch gut. Sie sehen aber ganz klar, dass sie sich das nicht immer leisten können.

Auf welche Unterrichtsmaterialien stützen Sie sich bei der Verbraucherbildung?

Es gibt schon einiges, im Internet wird man recht schnell fündig, auch auf den Seiten der Verbraucherzentralen. In ganz Bayern sind 18 Grund-, Mittel- und Realschulen, Gymnasien und Wirtschaftsschulen in den vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung geleiteten Schulversuch mit eingebunden. Dabei beziehen wir uns ganz konkret auf die seit 2010 geltenden Richtlinien zur Ökonomischen Verbraucherbildung. Wir holen uns darüber hinaus externe Experten in den Unterricht. Kommenden Monat zum Beispiel eine Organisation, die den Schülern den ökologischen Fußabdruck ihres Konsums erläutert und zeigt, wie sie umweltbewusster leben können. Das greifen wir immer wieder im Unterricht auf. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Wie steht es um Fortbildungen für Lehrer?

Bei uns in Bayern wird zur ökonomischen Verbraucherbildung schon relativ viel angeboten, auch als E-Learning-Seminare. Da geht es zum Beispiel um Schulden und wie man die Schuldenprävention in den Unterricht einbinden kann oder um das professionelle Management von Schülerfirmen. Über die Fortbildungsangebote kann ich nicht klagen. Unser Modellversuch soll ja auch klar machen, wo es noch Bedarf gibt.

Die Materialien, die von den Projektschulen erarbeitet werden, werden nach Ablauf des Schulversuchs auf einer Datenbank zum Download angeboten und interessierten Lehrkräften zugänglich gemacht.

Wie kommt die Verbraucherbildung bei Ihren Schülern an?

Sehr gut, weil der Unterricht zum Thema sehr lebensnah ist. Wir kennen unsere Schüler und   ihre Elternhäuser sehr gut und können einschätzen, was sie bewegt. Deswegen können wir mit einzelnen Verbraucherthemen konkret an ihrer Lebenswirklichkeit anknüpfen. Die Schüler merken, dass diese Themen sie wirklich etwas angehen. Sie sind dann eher motiviert, etwas zum Guten zu ändern. Und das macht auch den Lehrern mehr Spaß.  

Das Interview mit Birgit Plechinger führte der Berliner Journalist Thomas Wischniewski im Auftrag der Online-Redaktion von verbraucherbildung.de.