Datum: 17.08.2015

„Ein Transparenz-Kodex für Unterrichtsmaterialien ist überfällig“

Fünf Fragen an… Prof’in Birgit Weber, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB)

(c) pexels.com - CC0 Public Domain

Kostenlose Unterrichtsmaterialien gibt es zu allen denkbaren Themen. Doch wer sie herausgebracht oder finanziert hat, bleibt oft im Dunkeln. Warum das ein Problem ist und wie es sich lösen ließe, weiß Prof’in Birgit Weber. Fünf Fragen an die Zweite Bundesvorsitzende der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung. 

1. Frau Prof’in Weber, Sie sagen, viele Unterrichtsmaterialien verfolgten eine verborgene Agenda. Wie kommen Sie darauf?  

Schaut man sich einige Materialien genauer an, stellt man fest, dass sie oft bestimmte Interessen transportieren. Auch wenn sie an Lehrplaninhalten oder vernünftigen Bildungsaufträgen anknüpfen, werben sie häufig für Produkte oder sie versuchen, das Image von Branchen zu verbessern. Sie zielen häufig auch auf politische Beeinflussung. So sind unternehmensnahe Materialien oft daran interessiert, staatliche Regulierungen zu vermeiden. 

2. Können Sie konkrete Beispiele nennen? 

Die Sorgen um die finanzielle Bildung nimmt etwa die von Versicherungsunternehmen geförderte Initiative „My Finance Coach“ zum Anlass für Produktkunde. Fallstricke werden dabei ebenso ausgelassen wie staatliche Sozialversicherungen als Form der Daseinsvorsorge. Manche Konzerne oder Branchen trimmen ihr Image, indem sie etwa Autos, Energie, Süßigkeiten als nachhaltig oder gesund darstellen. Noch subtiler ist es, wenn sie allein Lernende zum Energie sparen oder Müll trennen bewegen, und sich damit ihrer eigenen Mitverantwortung entledigen wollen. 

3. Warum beschreiten die Unternehmen diesen Weg überhaupt? 

Über Bildungsmaterialien können viele junge Menschen mit geringem Aufwand erreicht werden. Auf diese Art von „Bildungskommunikation“ spezialisierte Agenturen geben vor, den Lehrplan seriös zu bereichern. Sie werben aber auch offen mit der optimalen Platzierung ihrer Produkte in einer Zielgruppe, die sich dann klassenweise und wochenlang mit dem Thema befasst.

4. Das ist erlaubt? 

Werbung in Schulen ist zumindest nicht verboten, solange der „pädagogische Nutzen“ überwiegt. Das ist aber dehnbar. Die Schule darf Sachverhalte nicht einseitig darstellen und muss das, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, auch kontrovers behandeln. Verstöße gegen das Kontroversitätsgebot sind aber oft subtil: Ausblendungen fallen oft weniger stark auf als direkte Werbung. 

5. Was schlagen Sie vor? 

Ein grundsätzliches Werbeverbot, die sofortige Minderung fachfremden Unterrichts, die Prüfung aller Unterrichtsmaterialien sind sicher realitätsfremd. Da aber finanzstarke Lobbyisten mit verschleierten Aktivitäten weder unerfahrene Schüler überwältigen dürfen, noch Schulen als staatliche Akteure solche Interessen gegenüber finanzschwachen allgemeinen Interessen privilegieren dürfen, bedarf es mindestens einer nachvollziehbaren Kennzeichnung von Unterrichtsmaterialien. Die DVPB macht sich deshalb für einen Transparenz-Kodex stark, der Klarheit über Geldgeber, Herausgeber und Autoren der Materialien schafft. Transparenz ist dringend geboten.