Datum: 31.01.2012

„Finanzielle Allgemeinbildung muss die Verknüpfung von Zeit und Risiko offenlegen“

Interview mit dem Verbraucherschützer Frank Christian Pauli

(c) Pexels CC

Kreditkarten, Dispokredite, Versicherungen: Der Markt für Finanzprodukte ist kompliziert, ständig im Wandel und selbst für Experten nur schwer zu durchschauen. Jugendliche stellt diese Unübersichtlichkeit und Komplexität vor ungleich größere Schwierigkeiten. Verbraucherschützer Frank-Christian Pauli erklärt, wie die Schule bei der Orientierung auf den Finanzmärkten helfen kann und auf welchen Pfeilern eine solide finanzielle Allgemeinbildung aufbauen sollte.

Herr Pauli, die finanzielle Allgemeinbildung von Kindern und Jugendlichen – wie ist es um die in Deutschland bestellt?

Die Statistiken zeigen uns zum Beispiel, dass gerade auch junge Erwachsene sich schnell verschulden. Also gibt es auf jeden Fall Optimierungsbedarf. Ohne ausreichende Vermittlung der relevanten Kenntnisse können junge Erwachsene sonst in Ermangelung eigener Erfahrungen schnell überfordert sein und Fehler mit langfristigen Folgen machen. Sie sind gefragte Neukunden. Von bestimmten Produkten wie dem Girokonto abgesehen, eröffnet sich ihnen die Finanzdienstleistungswelt ziemlich spontan mit der Volljährigkeit, mit Dispokrediten, Kreditkarten, Altersvorsorgeprodukten etwa, die Folgen dieser Angebote kann längst nicht jeder überblicken. Gleichzeitig wandeln sich die Produkte ständig, das schafft Anforderungen an die Lehrpläne. Es ist nicht trivial, in diesem Bereich aktuelles Wissen zu vermitteln.

Gibt es Finanzprodukte, die Sie besonders kritisch sehen?

Da gibt es einige. Nehmen wir als Beispiel „revolvierende“ Kreditkarten. Das sind Kreditkarten mit einer Teilzahlungsfunktion. Zahlungen damit bleiben einen Monat zinsfrei. Danach fallen hohe Zinsen an. Der geschuldete Betrag wird jedoch nicht vom Konto abgebucht, sondern der Karteninhaber muss diese Beträge aktiv zurückführen. Da muss man schon sehr hinterher sein, die richtigen Beträge zum richtigen Zeitpunkt zurück zu überweisen...

... um nicht in die erste Kostenfalle zu tappen?

Ja. Auch Dispokredite, die lange nicht ausgeglichen werden, können hohe Zinskosten verursachen. Altersvorsorgeprodukte oder Versicherungen sind ebenfalls nicht immer unbedenklich. Manche ziehen hohe monatliche Belastungen nach sich oder binden lange Zeit an ungünstige Bedingungen. Wir blicken heute auf einen enorm verwirrenden Markt mit unzähligen Finanzprodukten. Gerade jungen Menschen fehlen meist die Erfahrungen und Grundfertigkeiten, um sich auf diesem Markt besser orientieren zu können.

Sie sagen, auch die Schule müsse diese Grundfertigkeiten vermitteln. Welche?

Zentral ist, dass Jugendliche mit zwei Konzepten umgehen können: mit Zeit und Risiko – und lernen, wie diese beiden Faktoren auf die eigene Lebensplanung einwirken.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Nehmen Sie die Kreditaufnahme. Ein Kredit muss nicht schlecht sein, wenn man ihn produktiv einsetzt. Etwa um ein Auto zu kaufen, um eine Ausbildung wahrnehmen zu können. Da kann ein angemessener Kredit sinnvoll sein, weil sich die Zinsen, die ich für den Kredit zahle, rechnen: Ich kann die Ausbildung wahrnehmen und Einkommen erzielen. Wenn ich einen Kredit aufnehme, um in den Urlaub fahren zu können, habe ich keinen solchen Mehrwert. Der Urlaub wird durch die über die Zeit zu zahlenden Zinsen teurer. Wenn ich dagegen für den Urlaub vorab spare, erziele ich über die Zeit hin Zinsen und das ist besser, als diese zu zahlen.

Und der Faktor Risiko?

Wenn ich mich für einen Konsumkredit, etwa für einen Urlaub oder ein neues Handy, verschulde, und sich dann überraschend zusätzliche Belastungen einstellen, die Waschmaschine oder das Auto kaputt gehen, ist das Risiko höher, dass ich diese Zusatzbelastung nicht ausgleichen kann. Hätte ich gespart, hätte ich nicht nur einen Zinsvorteil gehabt, sondern bis zum Zeitpunkt der Ausgabe auch ein geringeres Risiko, zusätzliche Belastungen nicht ausgleichen zu können. Jeder Verbraucher sollte sich vor Aufnahme eines Kredits, vor Abschluss einer Versicherungen oder anderer Vorsorgeprodukte fragen: Was bedeutet das für mein Risiko – arbeitet die Zeit mit den Kosten für oder gegen mich?

Jugendliche müssen ihre eigenen Interessen kennen und einschätzen lernen? Ein Bauchgefühl für diese Fragen entwickeln?

Genau. Es gibt einen Grundstock an Wissen, den die Schule vermitteln sollte: Wie funktionieren Lastschriften, Überweisungen, was zeichnet eine sinnvolle Versicherung, eine gute Altersvorsorge aus? Wie kann ich prüfen, ob ein Angebot in meinem Interesse liegt? Dieses Wissen sollte Schule vermitteln. Sie sollte junge Menschen dabei unterstützen, ein Gefühl für die Gefahren der Finanzdienstleistungsmärkte entwickeln zu können. Dass sie sich selbst Stoppsignale setzen können. Das eigene Interesse an einem Produkt definieren können. Und das heißt eben: Zeit und Risiko im Blick zu behalten.

Dieses Konzept lässt sich auf alle Finanzprodukte anwenden?

Das ist das Gute daran: Der Markt für Finanzprodukte unterliegt einem ständigen Wandel. Viele Angebote, die Lehrkräfte heute im Unterricht durchnehmen, gibt es vielleicht gar nicht mehr, wenn ihre Schüler von der Schule abgehen. Lernen an konkreten Beispielen ist wichtig. Ebenso aber die Vermittlung des eher abstrakten Zusammenwirkens von Zeit und Risiko.

Welche Themen halten Sie für besonders unterrichtstauglich oder spannend?

Wäre ich Schüler, fände ich es spannend, nachweislich schlechte Finanzprodukte mal auseinanderzunehmen, sozusagen Kriminalistik zu betreiben: Was ist schlecht an diesem Angebot? Hätte ich das erkannt? Ein guter Ansatzpunkt bietet auch die Beschäftigung mit den sogenannten „Beipackzetteln“. Diese Produktinformationsblätter für Finanzprodukte setzen sich langsam durch, sind aber noch nicht immer astrein. Die kann man sich im Unterricht vorknüpfen. Versuchen zu verstehen, was bestimmte Formulierungen darin bedeuten, schauen, wo Fallen lauern.

Und wenn diese Zettel in einigen Jahren ganz anders aussehen als heute?

Dann wissen die Schülerinnen und Schüler trotzdem, welche Fragen sie stellen müssen. Damit wäre schon viel gewonnen.

 

Frank-Christian Pauli ist Banken- und Finanzmarktexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband

Das Interview führte der Berliner Journalist Thomas Wischniewski im Auftrag der Online-Redaktion von verbraucherbildung.de.