Datum: 07.06.2017

„Man kann Geschichten auch wunderbar in Musik, Video oder Bild erzählen“

Digitale Lese-Apps für Kinder und Jugendliche

(c) Nadine Doerlse - pixabay - CC0 Public Domain

Egal ob Kinder die Seiten eines Buches umblättern oder über das Tablet wischen: Sie lassen sich immer gern in eine gute Geschichte hineinziehen. Digitale Lese-Abenteurer können sogar Nicht-Leser zum Schmökern animieren. Worauf man bei Auswahl und Umsetzung von Lese-Apps achten muss, verraten zwei Expertinnen.

Bücher konkurrieren immer stärker mit Youtube-Videos, Blogs und sozialen Netzwerken um die Aufmerksamkeit von Kindern. Ist es also schwieriger geworden, Kinder für Geschichten zu begeistern? Studien wie die JIM-Studie (Jugend, Information und Mulitmedia) zeigen, dass Lesen und Bücher nach wie vor zu beliebten Freizeitaktivitäten von Kindern gehören – trotz des gestiegenen digitalen Medienangebots. „Seit 17 Jahren liegt der Wert der Jugendlichen, die regelmäßig lesen, bei knapp 40 Prozent“, so Dr. Sigrid Fahrer, Leiterin des Bereichs „Digitale Strategie“ bei der Stiftung Lesen. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass auch in den digitalen Medien gelesen wird.

Die bekannte Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke hat keinen Zweifel, dass sich Kinder auch in Zukunft immer gerne von Geschichten begeistern lassen – solange Eltern und Lehrer offen seien für alle Medien. „Man kann Geschichten auch wunderbar in Musik, Video oder Bild erzählen, es muss nicht immer das Buch oder der Aufsatz sein“, so Cornelia Funke, „je offener wir uns auf das einlassen, was unsere Kinder begeistert und was sie lieben, umso eher können wir ihnen helfen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen und die von anderen zu hören.“

Vorteile digitaler Leseformate

Cornelia Funke selbst hat vor vier Jahren ihre erste eigene App veröffentlicht, begleitend zu ihren „Reckless“-Büchern für Jugendliche, die in der Spiegelwelt spielen. „Touch, to find, to see, to be, your reflection's destiny“ ("Berühre, um zu finden, zu sehen, zu sein, das Schicksal deines Spiegelbildes") – so steht es auf dem Spiegel, über den man in die Spiegelwelt eintauchen kann. Dann führt die App den Leser ganz tief hinein in die fantastische Welt, wo es neue Figuren, Orte und Geschichten zu entdecken gibt.

Damit ist ein wichtiges Kriterium erfüllt: Digitale Leseformate sollen Neugier wecken. Darüber hinaus nennt Sigrid Fahrer noch weitere wichtige Aspekte. Zum Beispiel sollten Lese-Apps einfach aufgebaut sein, eine selbsterklärende Navigation haben und im Idealfall über Schriftgröße und Informationsmenge an das eigene Leseniveau angepasst werden können. Empfehlenswerte Kinder-Apps sind außerdem frei von Werbung und In-App-Käufen.

„Die Vorteile von Geschichten-Apps liegen außerdem in den interaktiven und multimedialen Elementen wie kleinen Animationen, Mini-Spielen, der Vorlesestimme, den eigenen Aufnahmemöglichkeiten“, sagt Fahrer. Dabei seien diese neuen Formate vor allem auch für Kinder hilfreich, die Schwierigkeiten hätten, das Gelesene in Gedankenbilder umzusetzen – allerdings nur, wenn die einzelnen Elemente auch sinnvoll mit der Geschichte verbunden sind. Dann entsteht Kopfkino. Und: „Da man einem E-Book nicht gleich seine Seitenstärke ansieht, trauen sich auch die ‚Wenigleser‘ mal an dickere Bücher.“

Einsatz in der Schule

Dieses Eintauchen in Geschichten vermittelt Kindern Freude und Interesse an Sprache und Geschichten, weiß Sigrid Fahrer. Und: „Zugänge zu Sprache und zum Lesen werden vor allem durch Vorlesen und Erzählen geschaffen.“ Die Vorlesestudie 2017, welche die Stiftung Lesen gemeinsam mit der Deutsche Bahn-Stiftung und der Wochenzeitung DIE ZEIT realisiert hat, zeigt ein eindeutiges Ergebnis: 91 Prozent der Kinder in Deutschland gefällt es gut, wenn ihnen vorgelesen wird. Jedoch zeigt die Studie, die seit zehn Jahren jährlich durchgeführt wird, dass jedem dritten Kind in Deutschland zuhause nicht oder nur selten vorgelesen wird. Hier können auch Lehrerinnen und Lehrer ansetzen.

„Eine digitale Erzähl- und Vorlesestunde mit einer App zu gestalten, ist ein guter Einstieg ins digitale Lesen“, lautet Sigrid Fahrers Rat. Bei der Auswahl der App sei natürlich das Alter der Schüler entscheidend. Für Vor- und Grundschulkinder bieten sich laut Stiftung Lesen interaktive Geschichten-Apps an, die eine Mischform aus Lesen und Gaming darstellen.

Lese-Apps für Jugendliche

Bei der Nutzung digitaler Lesemedien ist auch für Jugendliche eine Anleitung beziehungsweise Begleitung durch Erwachsene sinnvoll. Bei dieser Zielgruppe stehen vor allem die Geschichte und das Thema im Mittelpunkt, für welche verschiedene Zugänge gewählt werden können. Empfehlenswert sind beispielsweise Krimis mit multimedialen Erweiterungen, spannende Thriller aus dem Cyberspace oder auch romantische E-Books. Wichtig ist auch hier, dass die Jugendlichen von der Geschichte berührt werden und in sie eintauchen können.

Es ist ein neuer Zauber, der vom digitalen Leseuniversum ausgeht. Den spürte auch Cornelia Funke als Autorin. Auf ihrer Internetseite beschreibt sie ihren Lesern die Entscheidung, eine Spiegelwelt-App zu entwickeln, so: „Vom ersten Buchstaben an spürte Cornelia, dass die Spiegelwelt über die Seiten der Bücher hinausdrängte, dass sie sich nicht würde zähmen lassen zwischen den Deckeln der Bücher. Sie fühlte: Diese Geschichten passen nicht in Bücher allein, sie brauchen noch etwas Anderes, sie können und wollen nur auf bedrucktem Papier nicht erzählt werden. Sie brauchen eine neue, eine ganz eigene Art des Erzählens, um all ihren Zauber entfalten zu können. Gut wäre, so Cornelias Gefühl, etwas wie ein lebendiges Buch, eines, das atmet, sich bewegt, sich verändert und entwickelt.“

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