Datum: 10.11.2015

„Schule muss zeigen, dass Menschen nicht nur rational handeln“

Fünf Fragen an… Prof’in Bettina Zurstrassen, Universität Bielefeld

(c) unsplash - carlos muza - CC0

Der Mensch im Wirtschaftsleben oder als Konsument – handelt er immer rational, immer am eigenen Nutzen orientiert, als Homo Oeconomicus? Oder ist dieses Modell ein Trugbild? Die Soziologin Bettina Zurstrassen von der Universität Bielefeld weiß dazu etwas zu sagen. Fünf Fragen an sie. 

Frau Prof’in Zurstrassen, den Homo Oeconomicus – gibt’s den wirklich?

Als Modell in den Wirtschaftswissenschaften: ja. Im wirklichen Leben habe ich da Zweifel. Und in seiner Reinform – als Modell des rational kalkulierenden, seine Präferenzen abwägenden Menschen, der immer nutzenoptimiert entscheidet und handelt – gilt er der modernen Wirtschaftswissenschaften längst als überholt. Da wird erkannt, dass Menschen auch aus anderen Motiven handeln, sozialen etwa. 

Sie sagen, problematisch sei dieses Modell dennoch? Warum? 

Weil es bestimmten Unterrichtsmaterialien immer noch als Handlungsmodell zugrunde liegt. Darin liest man dann zum Beispiel, dass Schülerinnen und Schüler lernen sollen, in allen Lebenslagen „rational und effizient handeln zu können“. Das solchen Zielen zugrundeliegende Modell des Homo Oeconomicus ist aber erst mal ein theoretisches und sehr umstrittenes. Nichtsdestotrotz wird es genutzt, um Kinder und Jugendliche in eine bestimmte Richtung zu trimmen, sie auch ideologisch zu überwältigen. Dieses Modell wird mitunter also politisch instrumentalisiert. Und das darf in Schule nicht passieren. 

Wer sollte daran ein Interesse haben?

Der Homo Oeconomicus passt prima zu einem auf Effizienz ausgerichteten Arbeitsmarkt, zu einer an Effizienz orientierten Gesellschaft, zu einer nach Wachstum ausgerichteten Konsumwelt. Wer Ziele wie Effizienz oder die Maximierung des eigenen Nutzens verinnerlicht, der arbeitet tatsächlich härter. Das zeigen Studien. Nur: Zufrieden mit dem eigenen Leben, glücklicher, sind diese Menschen eben nicht. Auch das lässt sich belegen. Für ein glückliches Leben viel wichtiger sind zwischenmenschliche Beziehungen oder eine geringe soziale Ungleichheit. Nicht maximierter Eigennutz und maximale Effizienz.

Was schlagen sie vor?

Wenn wir Menschen und ihr Verhalten analysieren  wollen, sollten wir uns nicht einzig an eindimensionalen Modellen wie dem des klassischen Homo Oeconomicus orientieren. Das springt zu kurz. Wir  brauchen weitere, auch soziologische  Modelle – die das Verhalten des Menschen zum Beispiel auch aus seinem Sozialgefüge heraus, aus seinen Beziehungen erklären. Theorien, die anerkennen, dass Menschen oder Gruppen etwas tun, weil sie Erwartungen gerecht werden wollen. Oder dass Menschen handeln, weil sie von ihren Gefühlen geleitet werden. 

Was heißt das für die Verbraucherbildung?

Dass wir diese alternativen Modelle berücksichtigen, schon bei der didaktischen Konzeption von Unterricht. Schülerinnen und Schülern müssen die Möglichkeit haben, ihr Handeln, ihre Konsumentscheidungen, zu durchleuchten und zu verstehen – und das anhand mehrerer Modelle, nicht anhand eines strittigen.