Datum: 24.06.2015

„Sharing Economy“: Schule in Zeiten der neuen Tauschwirtschaft

„Teilen ist eine wichtige Kulturtechnik“

(c) pexels - CC0

Leihen statt kaufen. Teilen statt besitzen. Was für viele Menschen im Alltag normal ist, erobert derzeit als Geschäftsprinzip die Welt der Wirtschaft. Unter dem Schlagwort „Sharing Economy“ ist Teilen und Tauschen zum Milliardenmarkt geworden, mit unzähligen neuen Geschäftsmodellen. Wie diese funktionieren und Wirtschaft und Gesellschaft verändern, beschäftigt Ende Juni den Deutschen Verbrauchertag. Experten meinen, auch Schule müsse sich dem Thema widmen. 

„Schule muss diese neue kooperative Ökonomie zum Unterrichtsthema machen“ sagt Reinhard Loske, Professor für Nachhaltigkeit und Transformationsdynamik an der Universität Witten/Herdecke. Loske hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der „Sharing Economy“ befasst und geht davon aus, dass sie in Zukunft wichtiger wird, gerade als Wirtschaftsfaktor. „Schule“, sagt er, „muss schon deswegen erklären, was unter diesem Schlagwort alles passiert“. 

Und es passiert eine Menge. Ganze Wirtschaftszweige bekommen das zu spüren: Die Taxibranche etwa, die mit dem Mobilitätsdienst Uber um Fahrgäste ringt. Oder das Hotelgewerbe, das Besucher an den Onlineübernachtungsdienst Airbnb verliert. Gewinner sind in diesen Fällen die Anbieter der Teil-Dienste. Investoren stecken Unsummen in sie und ihr erwartetes Wachstum. Allein der Wert des Fahrdienstvermittlers Uber wurde Ende 2014 auf 40 Milliarden Dollar taxiert. 

Kommerzialisiert: das Prinzip Teilen 

Das altbekannte Prinzip des Teilens: Viele Unternehmen der „Sharing Economy“ scheinen einen Weg gefunden zu haben, wie sich damit Geld verdienen lässt. Etwas springt dabei auch für die Teilenden raus. Wer seine Fahrdienste, seine Wohnung oder anderes über die Websites und Apps der Anbieter Dritten bereitstellt, kann dazuverdienen. Manchmal ein paar Cent, manchmal auch ziemlich viel. In Großstädten wie Berlin lässt sich mit der Untervermietung der eigenen Wohnung als Ferienwohnung ein Mehrfaches der Miete einnehmen. 

Nur: Weil das tatsächlich immer mehr Menschen machen, finden andere keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Und wer sich in ein Uber-Fahrzeug setzt, mag das bequem und billiger finden, leistet mitunter aber Lohndumping Vorschub. Denn den gesetzlichen Mindestlohn können Uber-Fahrer und -Fahrerinnen nirgends einfordern.  

Kein Anlass für „kritiklose Euphorie“

„Wenn die ‚Sharing Economy’ nicht zur Dumpinghölle werden soll, muss der Staat einen ordentlichen Wettbewerbsrahmen für sie schaffen“, sagt Loske. Für „kritiklose Euphorie“ gebe es jedenfalls keinen Grund. Und das müsse auch die Schule vermitteln. Sie müsse die Zusammenhänge der Tauschwirtschaft erklären und Jugendlichen einen realistischen Blick auf ihre unterschiedlichen Facetten ermöglichen. Das heiße aber auch, nicht nur auf Uber oder Airbnb zu blicken. 

Tauschwirtschaft – das meint nämlich genauso: Kleidertauschpartys, zu denen sich Freunde treffen oder nicht-kommerzielle Anbieter von Mitfahrgelegenheiten. Loske spricht von „gemeinwohlorientierten Formen der Tauschwirtschaft“. Die Politik sollte sie seiner Ansicht nach stärker fördern. „In ihnen steckt ein großes Potenzial für mehr Nachhaltigkeit.“ Beim klassischen Car-Sharing etwa ersetze ein Car-Sharing-Auto acht Privat-Pkw. Und Kleidertauschpartys machten manchen Weg in die Boutique überflüssig.

Bewegung auch von unten 

Dieses Teilen und Tauschen ohne die Absicht, daran zu verdienen – Willi Schroll, freier Strategieberater und Zukunftsforscher aus Berlin sagt, daraus sei „in den vergangenen Jahren weltweit eine riesige Bewegung entstanden“. Überall täten sich Menschen zusammen, um Dinge zu teilen, zu tauschen oder gleich zu erschaffen. Sei es ein Stadtgarten, den sie in Eigenregie gestalten, seien es Computerprogramme wie Linux oder Online-Angebote wie die „Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet“, kurz ZUM. 

Entstanden ist dieses Webangebot aus dem Engagement einiger Lehrerinnen und Lehrer, die online selbst erstellte Lehr- und Lernmaterialien veröffentlichen und austauschen wollten. Mittlerweile hat sich die ZUM-Website zur offenen Plattform für Unterrichtsideen gemausert. Geld verlangen die Macher für ihre Angebote keines. Sie verstehen ihren Dienst als „100-prozentige Bewegung von unten“, die das Netz für die Bildungsarbeit nutzbar macht. So kann sie aussehen, die Tauschwirtschaft im Bildungswesen.

„Solche Formen der Kollaboration sollten künftig in der Schule stärker eingeübt werden“, sagt Zukunftsforscher Schroll. Denn sie beförderten Eigenschaften, die wichtiger würden, auch in der Arbeitswelt. „Die gerade heranrollende zweite Automatisierungswelle bedroht alleine in Deutschland zwölf Prozent der Jobs“, sagt er. Wolle Schule Kinder und Jugendliche für diesen Wandel rüsten, müsse sie das reine Wettbewerbsdenken ein Stück hinter sich lassen. „Stattdessen sollte sie viel stärker als bisher Freude an Kreativität, Offenheit und die Bereitschaft zur Kooperation fördern.“ 

Schule als „Sharing-Kosmos“

Nach Ansicht von Loske und Schroll sollte die Schule das Teilen aber noch aus grundsätzlicheren Erwägungen fördern. Beide sagen: „Teilen ist eine wichtige Kulturtechnik.“ Schon deswegen sollte sich Schule damit beschäftigen. Mit den gesellschaftspolitischen Folgen der „Sharing Economy“ genau so wie mit ihrem praktischen Nutzen. „Hostel oder Airbnb? Bahn oder Mitfahrzentrale? Kleider kaufen oder tauschen? Das sind Fragen, die man im Unterricht behandeln sollte“, so Loske. 

Schroll kann sich auch vorstellen, die Schule selbst stärker auf Kollaboration, auf Tauschen und Teilen auszurichten. „Warum“, fragt er, „bauen Schulen ihre Websites nicht zu einem riesigen Sharing-Kosmos aus“? Mit Online-Tutorials von älteren Jahrgängen. Mit der Möglichkeit, sich online zu Teil- oder Tauschparties in der realen Welt zu verabreden. Oder mit Videos und virtuellen Lernräumen, in denen sich die Schülerinnen und Schüler gemeinsam einem Thema nähern, vielleicht sogar länder- und kulturübergreifend. 

„Schule“, sagt Schroll, „sollte Kindern und Jugendlichen zeigen, dass sie Teilen, Tauschen und eine sinnvolle Zusammenarbeit auch selber organisieren können –und dafür nicht auf spezialisierte Anbieter angewiesen sind.“ Bildung sei schließlich nichts anderes als ein geteiltes Gemeingut. Und das sei derzeit in Gefahr: Die Idee, Teilen und Tauschen zu kommerzialisieren, strahle eine „hohe Verführungskraft“ aus, siehe Airbnb, siehe Uber. Das Bildungssystem, sagt Schroll, dürfe dieser Kraft nicht erliegen. 

Deutscher Verbrauchertag 2015 

Die „Sharing Economy“ steht am 29. Juni auch im Zentrum des Deutschen Verbrauchertages, zu dem der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) nach Berlin einlädt. Fachleute Vertreter aus Praxis, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik werden in dessen Rahmen diskutieren, wo die „Sharing Economy“ in Deutschland steht, wohin sie sich bewegt – und was sie für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet. Auf der Veranstaltung werden unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesverbraucherminister Heiko Maas sprechen. Die Veranstaltung wird im Livestream übertragen.