Datum: 14.12.2016

Verbraucherbildung und Digitales: Auf Agenda weiter nach oben gerückt

Jahresrückblick 2016

(c) vzbv

2016 ist die politische Unterstützung für die Vermittlung von Alltagskompetenzen in der Schule zwar weiter gestiegen. Oft blieb es aber bei Lippenbekenntnissen. Ähnlich verhielt es sich mit der digitalen Bildung: Auf der politischen Agenda rückte sie zwar ein gutes Stück nach oben, die Finanzierung ist aber weiterhin unklar. Was das Jahr noch brachte, zeigt der Jahresrückblick.

Dass die Verbraucherbildung ein „wichtiger Baustein jeder befähigenden Verbraucherpolitik“ ist, machte der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., vzbv, gleich zu Beginn des Jahres deutlich. In einem zur Internationalen Grünen Woche veröffentlichten Positionspapier haben die Verbraucherschützer ausgelotet, was getan werden muss, um den nachhaltigen Konsum aus der Nische zu holen. Neben mehr Bildung erachten sie ein staatliches Gütesiegel für nachhaltig Produziertes als ein wichtiges Element.


Verbraucherbildung „zentrale Grundlage für nachhaltigen Konsum“


Dass mehr Nachhaltigkeit auch mehr Verbraucherbildung braucht, meint auch die Bundesregierung, die im Februar ihr „Nationales Programm für nachhaltigen Konsum“ verabschiedet hat. Die Verbraucherbildung beschreibt sie darin als eine „zentrale Grundlage für einen nachhaltigen Konsum“. Das Wissen über öko-soziale Folgen des eigenen Konsumsgelte es „sowohl möglichst früh als auch immer wieder neu zu vermitteln“.

In dem Papier verspricht die Bundesregierung in diesem Zuge, die Finanzierung unterstützender Angebote sicherzustellen. Explizit nennt sie den digitalen Materialkompass des vzbv. Der Verbraucherverband sammelt in dieser Datenbank Unterrichtsideen zu Konsumthemen, lässt sie von unabhängigen Bildungsexperten bewerten und gibt Lehrerinnen und Lehrern so Orientierung im Wust der angebotenen Materialien. Nur: Die vom Bund versprochene Finanzierung ist bis dato ein Versprechen geblieben. „Bei uns ist noch kein Förderbescheid eingegangen“, sagt die Bildungsreferentin beim vzbv, Dr. Vera Fricke. Worten, meint sie, sollten auch Taten folgen.

Müde wird die Bundesregierung indes nicht, wenn es darum geht, für die Verbraucherbildung zu trommeln. Das zeigt auch ihr im August veröffentlichter Verbraucherpolitischer Bericht 2016, in dem sie die Verbraucherbildung als „wichtige Voraussetzung“ für verantwortungsbewusste Konsumentscheidungen beschreibt. Gleichzeitig wirbt sie darin für mehr schulische Verbraucherbildung. Diese obliege zwar den Ländern. Der Bund, heißt es in dem Papier, wolle aber konstruktiv mitwirken, die „Vermittlung von Verbraucher- und Alltagskompetenzen sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich zu verbessern“.


Bewegung in den Ländern

In einigen Bundesländern ist es 2016 dazu tatsächlich gekommen. An den Schulen Baden-Württembergs etwa ist die Verbraucherbildung seit diesem Schuljahr Pflichtstoff. Sie wird fächerübergreifend vermittelt, zum Beispiel im Bio- oder Matheunterricht. Einen ähnlichen Weg beschreitet Nordrhein-Westfalen, wo in zunächst zehn Modellschulen neue Formen der Verbraucherbildung im Unterricht erprobt werden. In Berlin und Brandenburg haben sich die Bildungsministerien auf eine fachübergreifende Vermittlung verständigt. Berlin hat zudem in einem neuen Orientierungs- und Handlungsrahmen Verbraucherbildung detailliert hinsichtlich verschiedener Kompetenzen aufgeschlüsselt.


Erste Verbraucherschulen am Start 


Im November hat der vzbv erstmals 14 „Verbraucherschulen“ in Silber und Gold ausgezeichnet. Sie finden sich in Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein und setzen sich besonders engagiert dafür ein, ihren Schülerinnen und Schülern in- und außerhalb des Klassenzimmers einen kritischen Blick auf Konsumentscheidungen zu vermitteln und ihre Konsum- und Alltagskompetenzen zu stärken. Die Deutsche Stiftung Verbraucherschutz hat die Auszeichnung gefördert.


Digitale Bildung „wesentliches Element der Verbraucherbildung“


Als klarer Erfolg für die Verbraucherbildung lässt sich zudem der Ausbau des vzbv-Materialkompass’ verbuchen. Neben den seit 2010 im Fokus stehenden Unterrichtsideen zur Verbraucherbildung nehmen unabhängige Bildungsexperten seit dem Sommer verstärkt Materialien zur Medienkompetenz ins Visier. Der vzbv hat dazu mit Förderung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ein „Lehrkräfteportal Digitale Kompetenzen“ aufgebaut. „Damit leisten wir Lehrerinnen und Lehrern konkrete Hilfestellung bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen“, sagt Projektleiterin Bettina Busse.

Dass diese Kompetenzen in der Schule eine deutlich größere Rolle spielen müssen, darüber herrscht inzwischen Einigkeit. Dass es auf diesem Weg noch viel Luft nach oben gibt, darauf wies 2016 neben vielen anderen auch der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hin. In einer im Februar veröffentlichten Empfehlung fordert dass Fachgremium, digitale Kompetenzen systematisch zu fördern – und zwar möglichst frühzeitig, „von der Vor-Schule über die Schule und Ausbildung bis hin zur Weiter- und Erwachsenenbildung“. Denn diese Kompetenzen seien „wesentliches Element der Verbraucherbildung“.


Digitale Bildung soll Teil der Fachcurricula aller Fächer werden 


Als „wichtig und längst überfällig“ begrüßte der Verbraucherzentrale Bundesverband im Sommer auch vor diesem Hintergrund den von der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) vorgelegten Entwurf einer Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“, deren finale Fassung Anfang Dezember veröffentlicht wurde. Die Bildungsminister der Länder versprechen darin unter anderem, digitale Kompetenzen „zum integrativen Teil der Fachcurricula aller Fächer“ zu machen. Zugleich sollen die Länder Aus- und Fortbildungsprogramme für die Lehrerinnen und Lehrer ausarbeiten und umsetzen.

Leider fehlen in dem Papier nach Einschätzung des vzbv weiterhin verbindliche Qualitätsstandards für Lehr- und Schulungsmaterialien, ebenso wie Richtlinien, die bei der Einbindung außerschulischer Kooperationspartner eingehalten werden sollten. Unternehmen, Lobbyverbände und andere Interessensgruppe machen sich das seit Langem zu Nutzen und drängen mit eigenen Angeboten in die Schulen, nicht selten zu Lasten der dort gebotenen Neutralität. Eine unabhängige Qualitätskontrolle externer Unterrichtsmaterialien, die im Schulalltag bereits eine große Rolle spielen, wird daher von vielen Lehrerinnen und Lehrern befürwortet.

In einer Umfrage unter deutschen Lehrkräften, deren Ergebnisse im Rahmen des Projekts „Lehrkräfteportal Digitale Kompetenzen“ im Oktober veröffentlicht wurden, sprachen sich drei Viertel der Befragten klar dafür aus. Ein Qualitätssiegel, das Unterrichtsmaterialien von externen Anbietern verlässlich beurteilt, fänden 70 Prozent von ihnen gut, wie im November eine vom vzbv beauftragte repräsentative Befragung offenbarte. Zwar gaben darin 72 Prozent der Befragten an, dass sie sich bei dieser Qualitätsprüfung prinzipiell selbst in der Pflicht sehen. Nur: 72 Prozent der Befragten sagen auch, dass in der Realität ihnen dafür einfach die Zeit fehlt.


Unabhängigkeit der Schule bewahren  


Der Wunsch nach mehr Verbraucherbildung, auch das hat das Jahr 2016 gezeigt, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Nur: In den Curricula schlägt sich das noch nicht überall nieder. Bislang hat erst rund die Hälfte der Bundesländer die Verbraucherbildung auf die Lehrpläne gehievt – obwohl sich ein Großteil der Deutschen das wünscht. „Die Bevölkerung“, sagt vzbv-Vorstand Müller, „steht wie eine Eins hinter uns“. Eine repräsentative Umfrage seines Verbandes belegt das eindrücklich: Demnach wünschen sich 92 Prozent der Deutschen mehr Unterricht zum Umgang mit Geld und Versicherungen. 95 Prozent wollen die Themen Ernährung und Gesundheit in den Lehrplänen wissen.

Auch in der Politik gibt es viele Befürworter, wie die Fachtagung Verbraucherbildung zeigte, zu der der vzbv im November 180 Fachleute in Berlin begrüßen konnte. Für die curriculare Verankerung konsumrelevanter Themen warben dort zahlreiche Bildungspolitiker aus Bund und Ländern, darunter der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt. Er sprach sich zudem für ein „Verbraucher-PISA“ aus, um Klarheit darüber zu erlangen, wo Kinder und Jugendliche Stärken und Schwächen beim Navigieren durch die Konsumwelt haben. Missstände würden so klarer, gezielte Nachbesserungen mitunter erst möglich. „Gute Verbraucherbildung“, sagt auch vzbv-Chef Müller, „braucht Evidenzen“.


Ausblick 2017 


„Trotz einiger Fortschritte –  2017 bleibt viel zu tun“, sagt die Bildungsreferentin des vzbv, Dr. Vera Fricke. „Unser Ziel bleibt, die Verbraucherbildung bundesweit prüfungsrelevant in den Lehrplänen aller allgemeinbildenden Schulen zu verankern.“ Der vzbv wird dieses Ziel ab Januar 2017 mit einem eigenen Team im Geschäftsbereich Kommunikation verfolgen. „Für die Verbraucherbildung“, sagt Fricke, „bedeutet dieses vereinte Engagement mehr Außenwirkung“. Es sei eine gute Voraussetzung, um die offenen Wünsche aus 2016 in 2017 zu verwirklichen.