Datum: 16.02.2016

„Wir brauchen eine Bildung für Arbeit und Leben in der digitalen Welt“

Dr. Claudia Bogedan, Bremer Bildungssenatorin und amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, im Interview

(c) pixabay.com CC0 Public Domain

Die Digitalisierung an den deutschen Schulen voranbringen – das hat sich die Bremer Bildungssenatorin Dr. Claudia Bogedan auf die Fahnen geschrieben, die in diesem Jahr der Kultusministerkonferenz (KMK) vorsitzt. Was sie vorhat und was sie sich dabei von den Bundesländern und den Lehrkräften wünscht, erklärt sie im Interview.

Frau Dr. Bogedan, als KMK-Präsidentin wollen Sie die Digitalisierung und die digitale Bildung in Schulen weiter voranbringen. Wie?

Ich denke, wir müssen zunächst die Haltung und die Diskurse über die Digitalisierung aufbrechen. Der Begriff „digitale Bildung“ drückt meines Erachtens nicht korrekt aus, was in der Schule ansteht. Wir brauchen eine Bildung für Arbeit und Leben in der digitalen Welt. Also einen umfassenderen Ansatz, der keinen Unterschied zwischen digitaler und analoger Bildung konstruiert. 

Das heißt? 

Die Digitalisierung bringt einen qualitativen Änderungsprozess mit sich. Der verlangt von uns, in Schulen anders mit Medien umzugehen als bisher. Und dafür müssen wir ein öffentliches Bewusstsein schaffen. Forderungen nach „Informatikunterricht für alle“ oder „Jedem Schüler ein Tablet“  sind viel zu kurz gedacht. Wichtiger ist es, die Digitalisierung inhaltlich in allen Fächern aufzugreifen.

Bildung für die digitale Welt und Verbraucherbildung – wie passt das eigentlich zusammen? 

Ich denke, dass Bildung für die digitale Welt die Klammer ist. Verbraucherbildung und -schutz spielen darin eine prominente Rolle, etwa wenn es um die informationelle Selbstbestimmung geht, um Datenschutz oder Urheberrechte. Das muss in der Schule Platz finden. Schon, damit Kinder und Jugendliche lernen, Persönliches nicht sorglos im Netz zu verbreiten. Damit sie wissen, wie sie sich auch als Konsumenten in der digitalen Welt verhalten sollten. 

Wie wichtig ist das? 

In meinem Verständnis ist dieser Umgang mit der digitalen Welt, auch das kritische Hinterfragen ihrer Möglichkeiten, eine zentrale Kulturtechnik. Wir müssen ihr in der Schule heute denselben Stellenwert einräumen wie dem Lesen, Schreiben oder Rechnen. Wer die digitale Welt nach dem Verlassen der Schule nicht verstehen und durchdringen kann, wird es künftig in der realen Welt schwer haben – in der Arbeitswelt ebenso wie in der Konsumwelt. 

Digitale Bildung verlangt auch Lehrerinnen und Lehrern neue Kompetenzen ab. Wie wollen Sie diese unterstützen?   

Unter anderem über die Aus- und Fortbildung. Letztlich ist jedes Fach von der Digitalisierung betroffen. Deswegen müssen sich auch jede Lehrerin und jeder Lehrer mit ihr auseinandersetzen. Es ist wichtig, sich Gedanken über zeitgemäße Zugänge zum Lernstoff, über didaktische Fragen und über neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung zu machen. Wir müssen mit unseren Aus- und Weiterbildungen darauf reagieren – und Lehrkräften auch die passende technische Infrastruktur geben.

Passt die denn schon? 

Nicht überall. Gerade im ländlichen Raum gibt es noch Aufholbedarf, etwa beim Breitbandanschluss. Das muss sich ändern. Da werden wir uns auch mit dem Bund neu verständigen müssen, soll die Digitalisierung nicht vor dem Schultor stehen bleiben.

Von der Digitalisierung erhoffen Sie sich auch mehr Chancengleichheit. Inwiefern?

Wir haben zunehmend Schülerinnen und Schüler, die höchst unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Wollen wir jedem Kind bestmögliche Chancen einräumen, müssen wir sie individuell fördern. Digitale Technologien können da helfen. „Intelligente“ Lernsoftware etwa kann Lehrkräfte dabei unterstützen, Kinder und Jugendliche in ihrem eigenen Tempo lernen zu lassen. 

Wie? 

Indem sie einfache Arbeitsblätter ersetzen, die stoßen ja schnell an Grenzen. Wenn ein Kind damit fertig ist, weiß es, dass es eine Aufgabe vielleicht schneller als seine Mitschüler lösen konnte. Ob es beim Lösen der Aufgabe immer den selben Fehler gemacht hat, weiß es nicht. „Intelligente“ Lernsoftware könnte ihm interaktiv Rückmeldungen geben und so den Lernerfolg steigern.  

Was wünschen Sie sich von Ihren Amtskolleginnen und -kollegen in den anderen Bundesländern?

Ich denke, was die Digitalisierung angeht, liegen wir gar nicht weit auseinander. In den Ländern passiert schon viel. Und die KMK hat sich im vergangenen Jahr auch aufgemacht, mit einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe eine Strategie für die Bildung in der digitalen Welt zu entwickeln. Wir sind auf einem guten Weg. Dabei, mit- und voneinander zu lernen und dabei, die Entwicklungen in den Bundesländern nicht auseinander laufen zu lassen. 

Was soll diese Strategie zur Bildung in der digitalen Welt bringen? 

Dass wir uns bis Ende des Jahres darüber verständigt haben, welche Änderungen wir in den Bildungsplänen brauchen und wie die Aus- und Fortbildungen für Lehrkräfte aussehen sollen. Wir müssen daneben klären, ob Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Smartphones oder Tablets im Unterricht nutzen sollen und gegebenenfalls rechtliche Hürden dafür aus dem Weg räumen. Und wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, ob wir klassische Schulbücher noch brauchen. 

Und? Was denken Sie?

Meines Erachtens: ja. Aber die Schulbuchverlage müssen sie sinnvoll flankieren – nicht nur durch schlichte PDFs, sondern durch interaktive Lernsoftware. Und wir sollten schauen, wie sich „Open Educational Ressources“ für die digitale Bildung nutzen lassen, also kostenlose Unterrichtsmaterialien, die sich frei verändern oder erweitern lassen und so aktuell bleiben. Gerade was die Chancengleichheit angeht, sehe ich darin Vorteile. Weil diese Medien Kindern aus finanziell nicht so gut gestellten Elternhäusern entgegenkommen.