Datum: 25.11.2016

Alltagskompetenzen: Großer Rückhalt für mehr lebensnahen Unterricht

Eltern, Politik, Lehrkräfte wollen mehr Verbraucherbildung in der Schule

Fachtagung Verbraucherbildung(c) Holger Groß - vzbv

„Rund die Hälfte der Bundesländer hat die Verbraucherbildung bereits auf die Lehrpläne gehievt“, weiß vzbv-Vorstand Klaus Müller. Sein Verband hatte am 21. November zur Fachtagung Verbraucherbildung nach Berlin geladen, um zu diskutieren, was in Sachen Alltagskompetenzen in Schulen schon passiert – und was noch passieren muss, damit Verbraucherbildung in allen Bundesländern einen festen Platz auf den Stundentafeln bekommt.

Schule muss Konsumthemen stärker aufgreifen

Dass wünscht sich nicht nur der vzbv. „Die Bevölkerung“, sagt Müller, „steht wie eine Eins hinter uns“. Eine repräsentative Umfrage, die der vzbv in Auftrag gegeben hatte, belegt das eindrücklich: Demnach wünschen sich 92 Prozent der Deutschen mehr Unterricht zum Umgang mit Geld und Versicherungen. 95 Prozent wollen die Themen Ernährung und Gesundheit in den Lehrplänen wissen. 93 Prozent finden, dass in der Schule über Umweltschutz und Fairen Handel geredet werden muss.

Auch in der Politik gibt es dafür viele Befürworter. Etwa den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt, der auf der vzbv-Tagung für die curriculare Verankerung dieser Themen warb. Eine Aufgabe von Schule, so Schmidt, sei es, Kinder und Jugendliche zu befähigen, ihre Entscheidungen auf einer soliden Wissensbasis zu fällen, auch beim Konsum. Es dürfe nicht sein, dass sie sich beim Kauf eines Getränks oder Snacks einzig von Werbung leiten ließen. Sie müssten selbst ein Urteil fällen können.

Bundesminister Schmidt für „Verbraucher-PISA“

Schmidt sprach sich zudem für ein „Verbraucher-PISA“ aus. In Anlehnung an die sogenannten PISA-Tests, mit denen Schulleistungen von Kinder und Jugendlicher international vergleichbar gemessen werden, könnte ein „Verbraucher-PISA“ ihre Stärken und Schwächen beim Navigieren durch die immer komplexere Konsumwelt abklopfen. Missstände würden so klarer, gezielte Nachbesserungen mitunter erst möglich. „Gute Verbraucherbildung“, sagt auch vzbv-Chef Müller, „braucht Evidenzen“. 

Der vzbv macht sich seit Langem dafür stark, Verbraucherbildung bundesweit prüfungsrelevant in den Lehrplänen aller allgemeinbildenden Schulen zu verankern. Es gehe nicht darum, die Bürden für Schule und Lehrerinnen und Lehrer hochzuschrauben, so Müller, „sondern Themen aus der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen in den Unterricht zu integrieren“. Dass es hier Nachholbedarf gibt, leugnet kaum noch jemand. Darüber herrsche über die Parteigrenzen hinweg Einigkeit, sagt Gitta Connemann. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „unterstützt den Wunsch nach mehr Verbraucherbildung im Unterricht zu 100 Prozent“.

Junge Menschen vor Irreführung schützen

Der vzbv weiß auch die Verbraucherschutzministerkonferenz der Länder und die Kultusministerkonferenz an seiner Seite. Die hatte bereits 2013 den Beschluss „Verbraucherbildung an Schulen“ verabschiedet und damit die Grundlagen für alltagstauglichen Schulunterricht geschaffen. Etliche Bundesländer haben diesen bereits mit Leben gefüllt, sind mit Engagement vorangegangen und haben eigene Konzepte entwickelt, um mit ihrem Schulunterricht besser aufs Leben vorzubereiten. 

Dass das nötig und richtig ist, davon ist zum Beispiel Cornelia Prüfer-Storcks überzeugt, Hamburgs Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz. „Schule muss hier einspringen“, sagt sie, „weil das Wissen um gesunde Ernährung oder einen angemessenen Umgang mit Geld nicht mehr in jedem Elternhaus vermittelt wird.“ Es sei wichtig, dass junge Menschen erkennen lernen, wenn sie in der Konsumwelt in die Irre geführt werden sollen.

Verbraucherbildung braucht geschulte, motivierte Lehrkräfte

Ob das in einem eigenständigen Schulfach Verbraucherbildung passiert, wie in Schleswig-Holstein, oder fächerübergreifend, wie etwa in Baden-Württemberg, ist für vzbv-Chef Müller zweitrangig. „Hauptsache es passiert mehr.“ Und zwar auch in Sachen Fort- und Ausbildungen für Lehrerinnen und Lehrer. Das sei Voraussetzung, damit sie nicht von den rasanten Entwicklungen in der digitalen Welt oder auf den Finanzmärkten abgehängt werden. „Verbraucherbildung braucht geschulte, motivierte Lehrerinnen und Lehrer“, so Müller.

Tatsächlich ist das mangelnde Fortbildungsangebot für Lehrerinnen und Lehrer nicht nur bei der Verbraucherbildung eine offene Baustelle. „Bei der Weiterbildungspflicht für alle Lehrerinnen und Lehrer hinken wir in Deutschland noch kräftig hinterher“, bemängelt Dr. Ernst-Dieter Rossmann, Sprecher der AG Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion. Sie fortzubilden, kostet Geld. Das aufzubringen, ist vielen Bundesländern angesichts klammer Kassen kaum möglich. Marco Tullner, Bildungsminister von Sachsen-Anhalt, sagt, gerade für finanzschwache Länder wie seines sei die Unterstützung durch den Bund wichtig.

vzbv fordert Abschaffung von Kooperationsverbot

Noch steht dem aber das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern bei der Bildung entgegen. Der vzbv hält es für überholt und setzt sich dafür ein, es abzuschaffen – auch um Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer ausbauen zu können. „Der Bund muss die Verbraucherbildung fördern können“, sagt Müller. Er plädiert zudem dafür, Unterrichtsmaterialien von externen Anbietern wie Verbänden, Unternehmen oder Lobbygruppen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Denn die stoßen gezielt mit eigenen Materialien in den Unterricht. Nicht selten, um darin für ihre Positionen und ein gutes Image zu werben. Nicht nur die Grünen-Parlamentarierin Renate Künast findet das ein Unding. Bildung, meint die Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz beim Deutschen Bundestag, brauche Unabhängigkeit. „Schule darf nicht davon abhängig sein, dass Unternehmen ihnen Material zur Verfügung stellen.“

Nötig: unabhängige Qualitätsprüfung von Unterrichtsmaterialien

Verbieten lässt sich das kaum. Überprüfen kann man die Qualität von Unterrichtsmaterialien schon. Und genau das macht der vzbv mit seinem Materialkompass für konsumrelevante Unterrichtsmaterialien bereits seit 2010. Seit kurzem werden wieder Inhalte rund um die digitale Bildung geprüft. „Solche unterstützenden Maßnahmen“, sagt Klaus Müller, „könnten leichter ausgebaut werden, wenn der Bund die Länder auch langfristig finanziell unterstützen könnte.“ Das Kooperationsverbot sei ein Relikt der Vergangenheit.

Bei den Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland rennt Müller mit seinem Wunsch nach mehr Unterstützung bei der Qualitätsprüfung von Unterrichtsmaterialien übrigens offene Türen ein. Ein Qualitätssiegel, das Unterrichtsmaterialien von externen Anbietern verlässlich beurteilt, fänden 70 Prozent von ihnen gut, wie eine vom vzbv beauftragte repräsentative Befragung offenbart. Zwar gaben darin 72 Prozent der Befragten an, dass sie sich bei dieser Qualitätsprüfung selbst in der Pflicht sehen. Nur: In der Realität fehle ihnen dafür einfach die Zeit.