Wahlbeeinflussung, gesellschaftliche Spaltung und Verschwörungstheorien – die Macht von Verschwörungserzählungen darf nicht unterschätzt werden. Damit Schülerinnen und Schüler für diese Herausforderung gewappnet sind, müssen sie Medienkompetenz entwickeln. Doch gerade hier weisen sie Schwächen auf, wie aktuelle Studien zeigen.
Schülerinnen und Schüler von heute kennen eine Welt ohne Internet nicht mehr. Für sie ist es ganz normal, ihre Nachrichten aus sozialen Netzwerken zu bekommen und sich in Blogs über aktuelle Ereignisse auf dem Laufenden zu halten. Jugendliche sind der JIM-Jugendstudie 2019 zufolge jeden Tag deutlich mehr als drei Stunden online. Viele nutzen das Internet, um Hausaufgaben zu erledigen, Hausarbeiten zu schreiben oder Inhalte aus dem Schulunterricht zu verstehen und zu vertiefen. Rund die Hälfte aller 16 bis 19-jährigen greift auf Nachrichten-Apps zurück, um über neueste Entwicklungen informiert zu bleiben. Laut einer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ausgewerteten Befragung ist das beliebteste Medium der durchschnittlich 17-jährigen Jugendlichen das Video. Unwahrheiten und Falschinformationen sind hier oft nicht weit entfernt. Daher sei es von großer Bedeutung, dass den Jugendlichen in der Schule Medienkompetenz vermittelt wird, so das IW. „Damit sie ihr Wissen auf Fakten und zuverlässigen Informationen aufbauen. Andernfalls drohen ihnen nicht nur schlechtere Noten, sondern auch ein verzerrtes Weltbild.“
Schule nehmen Herausforderung ungenügend an
Viele Jugendliche können Fakten nicht von Falschmeldungen im Netz unterscheiden. Zu diesem Ergebnis kommt die ICLIS Studie („International Computer and Information Literacy Study“),die sich der digitalen und Medienkompetenzen von Achtklässlern widmet. Bei der letzten Auswertung im Jahr 2018 waren die deutschen Ergebnisse besorgniserregend. Nur 39 Prozent der Schüler gaben an, sie hätten in der Schule herauszufinden gelernt, ob Informationen im Internet glaubwürdig seien. Im internationalen Vergleich sind es 65 Prozent. „Wir haben etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler auf den unteren beiden Kompetenzstufen, das ist recht besorgniserregend. Wenn man mal genau schaut, was diese Schülerinnen und Schüler können, dann ist das vor allen Dingen das Anklicken eines Links oder das Öffnen einer E-Mail“, sagte die Autorin der Studie, Prof. Dr. Birgit Eickelmann, im Deutschlandfunk. „Und was sie eben nicht können – und das ist wirklich etwas, was uns Sorge geben sollte –, ist, dass sie eben keine Information reflektiert bewerten können.“ In diesem Trend liegt gleichzeitig die Gefahr, dass Jugendliche leichter auf Fake-News hereinfallen, also bewusst gestreuten Falschmeldungen im Internet Glauben schenken.
Laut einer Studie der Vodafone Stiftung berichtet die Hälfte der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland, mindesten einmal die Woche in den sozialen Medien auf Falschnachrichten zu stoßen; fast ein Fünftel sogar täglich. Die Untersuchung zeichnet ein positiveres Bild der jüngeren Generation: Die überwiegende Mehrheit junger Menschen zeigt sich demzufolge im Umgang mit Falschnachrichten souverän und selbstbewusst. Die jungen Befragten betonen, überlegt in sozialen Medien zu posten und aktiv gegen Falschnachrichten vorzugehen, die über ihre Freunde in den sozialen Medien verbreitet werden. Viele von ihnen melden Fake News bei den Betreibern sozialer Netzwerke. Allerdings gibt auch ein Drittel zu verstehen, dass sie unsicher sind, ob sie Falschnachrichten immer sicher entlarven können.
Praktische Tipps in der Schule vermitteln
Rebecca Renatus arbeitet beim Dresdner Forschungswerk, einem Marktforschungsunternehmen. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Dresden. Sie wünscht sich, dass Lehrkräfte Diskussionen über die aktuelle Nachrichtenlage insgesamt stärker im Unterricht aufgreifen würden. „Anhand dieser aktuellen Themen kann man dann mit den Schülern reflektieren, wie sie überhaupt zu den Informationen gekommen sind und welche weiteren Rechercheschritte sie unternommen haben.“ Daran schließe sich ganz automatisch die Frage an, wie man vertrauenswürde Nachrichten erkennt und wie man Fake News davon unterscheiden kann.
Die Webseiten von Klicksafe und Saferinternet.at, empfehlen beispielsweise diese vier Schritte zur Prüfung einer Nachricht:
- Die Quelle überprüfen (Wer sind die Autoren? Welche Quellen werden angeführt? Gibt es ein Impressum auf der Seite?)
- Faktenlage checken (Berichten auch andere, seriöse Medien über den Fall? Kommen die Zitate der Personen im Text auch in anderen Texten in gleicher Weise vor?)
- Die Bilder prüfen, zum Beispiel durch eine Rückwärts-Bildersuche bei Google (Wurden Bilder aus anderen Kontexten verwendet?)
- Aktualität beachten (Handelt es sich überhaupt um neue Informationen?)
Kommt Internetnutzern eine Nachricht nicht vertrauenswürdig vor, sollten sie sich vor allem bei umstrittenen oder sensiblen Themen außerdem diese Fragen stellen:
- Wer steckt hinter der Nachricht?
- Wie sind die Inhalte dargestellt (sachlich oder reißerisch)?
- Was ist die Intention dahinter?
- Wie ist der Gesamteindruck der Quelle?
Journalistische Recherchen zu Fake News
Sollten sich Jugendliche aber auch Lehrkräfte nicht sicher sein, ob es sich um eine Falschmeldung handelt, können sie sich auch an professionelle Faktencheck-Teams wenden oder auf journalistischen Portalen nach Hintergründen recherchieren.Das 2016 gegründete Fact-Checking-Portal „Hoaxmap“ hat es inzwischen zu einiger Bekanntheit geschafft. Das Team von hoaxmap.org überprüft vor allem Gerüchte, die über Flüchtlinge und Asylsuchende kursieren. Als journalistisches Projekt hat sich in Deutschland vor allem das stiftungsfinanzierte Recherchezentrum Correctiv einen Namen gemacht. Die Journalisten und Fact-Checker von correktiv veröffentlichen ihre Recherche zu Fake News unter dem Label „echtjetzt“. Und auch die öffentlich-rechtlichen Medien kümmern sich seit April 2017 mit ARD-Faktenfinder um das Entlarven von Falschmeldungen. Das wird gerade jetzt besonders wichtig. Denn viele Menschen hätten gerade in Pandemiezeiten Angst und seien überfordert mit dem Nachrichtenstrom aus Sozialen Medien und Messenger-Diensten, sagte faktenfinder-Redaktionsleiter Patrick Gensing in einem DLF-Interview: „Wir sind mit einer extrem unübersichtlichen Situation konfrontiert, natürlich ist die Verunsicherung riesengroß. Bei anderen Ereignissen wie zum Beispiel Anschlägen wissen wir schon, was in Sozialen Medien als nächstes passieren wird – nämlich dass irgendwelche Verdächtigungen auftauchen, dass die Leute anfangen zu spekulieren und so weiter. Und das erlebt man hier natürlich jetzt nochmal in einer ganz anderen Dimension.“
Diese Entwicklung stellt nicht nur Jugendliche vor Herausforderungen, sondern auch die Lehrkräfte, die sie unterrichten. Oft sehen sie sich gar nicht in der Lage, Risiken des digitalen Raumes im Unterricht zu thematisieren. Hilfestellung gibt hier das Programm weitklick, das Lehrende dabei unterstützt, das Thema Desinformation nachhaltig in den Unterricht zu integrieren. Geboten wird ein umfangreiches und kostenloses Angebot an Online-Kursen rund um die Themen der Medienbildung, Meinungsbildung und die Wirkungsweisen von Desinformation, das sich an Lehrkräfte der Sekundarstufe I und II sowie in der Berufsbildung richtet.
Viele Medien und Bildungsorganisationen haben sich 2020 zudem zum bundesweiten Bündnis „Journalismus macht Schule" zusammengeschlossen. Mit Tipps und Tools für den Klassenraum wollen sie dazu beitragen, Medienwissen und praktische Kenntnisse zu vermitteln, um dem „Virus der Desinformation“ beizukommen. Das Bündnis organisiert auch Besuche von Journalistinnen und Journalisten im Unterricht, um deren Arbeit für die Schülerschaft direkt erlebbar zu machen.