Datum: 16.03.2015

„Politik muss endlich Werbung und Meinungsmache in Schulen angehen“

Interview mit Felix Kamella von LobbyControl

(c) pixabay.com CC0 Public Domain

Verkommt die didacta zur Werbeveranstaltung? Die Kölner Transparenzinitiative LobbyControl hat auf der diesjährigen Bildungsmesse einige Fälle von „Meinungsmache und Marketing“ ausgemacht. Wie diese daher kamen, was Unternehmen und andere Organisationen sich davon versprechen und was sich die Initiative von der Politik erhofft, um Werbung an Schulen einen Riegel vorzusetzen, erklärt Felix Kamella, Bildungsexperte bei LobbyControl, im Interview. 

Herr Kamella, Sie haben kürzlich die Bildungsmesse didacta besucht und kritisieren, dass es dort auch „Meinungsmache und Marketing“ gegeben habe. Wie kommen Sie zu diesem Eindruck?

Der drängt sich kritischen Besuchern der Messe auf. Wer dieses Jahr auf der didacta war, wurde zunächst zwangsläufig durch eine Halle gelenkt, in der der Elektronikkonzern Samsung sehr präsent war. Er hat dort für seine Technik geworben, unter anderem für den Einsatz von Tablets im Unterricht. Da stecken letztlich Geschäftsinteressen hinter. Samsung will seine Produkte verkaufen und sich mittels der Messe als schultauglicher Anbieter positionieren. 

Ein Einzelfall? 

Leider nein. Wir sind auf einige Beispiele gestoßen, wie Unternehmen und finanzstarke Gruppen die didacta geschickt für ihre Zwecke nutzen. Da gab es einen großen Lieferanten von Schulmilch, der idealisiert für sein Produkt geworben hat. Und es gab den von der Agrarwirtschaft finanzierten Verein information.medien.agrar (i.a.m.), der Unterrichtsmaterialien vorgestellt hat, die letztlich nur die Positionen seiner Finanziers widerspiegeln. 

Abseits der didacta: Ist der Lobbyismus in Schulen auf dem Vormarsch? 

Das ist schwer zu sagen. Fest steht: Die genannten Beispiele sind keine Einzelfälle. Und: Werbung und Lobbyismus an Schulen werden immer professioneller. Mittlerweile gibt es spezialisierte Agenturen, die Werbung für Produkte oder Dienste so geschickt in Unterrichtsmaterialien verstecken, dass man schon sehr genau gucken muss, um die überhaupt auszumachen. 

Sie kritisieren ja nicht nur, dass Schule zunehmend als Werbeumfeld genutzt wird. Sie sprechen auch von Meinungsmache. Haben Sie dafür Belege?

Ein besonders drastisches Beispiel sind die Kooperationen des US-amerikanischen Mineralölkonzerns ExxonMobil mit zwei niedersächsischen Gymnasien. Seit dem Start der Schulkooperation 2007 spendet das Unternehmen den Schulen jährlich 10.000 Euro. Außerdem schickt ExxonMobil Mitarbeiter in die Schule und organisiert Lehrerpraktika. Ganz unverblümt wird in einer Auswertung beschrieben, was sie sich davon versprechen: eine Versachlichung der Darstellungen über die Erdgasproduktion in Schulen und die Verbesserung der Reputation der Branche.

Kommt Lobbyismus auch weniger augenfällig daher? 

In Form von Schulwettbewerben zum Beispiel. Da können sich Konzerne mit relativ geringen Mitteln darstellen und gleichzeitig viele Schülerinnen und Schüler erreichen. Der Energieriese RWE etwa organisiert Wettbewerbe zum Klimaschutz, um sich selbst als umweltfreundlich darzustellen. Oder nehmen sie Unterrichtsmaterialien wie die erwähnten der i.m.a., die von Organisationen der deutschen Landwirtschaft getragen wird. Deren Materialien zu Themen wie Tierhaltung blenden gesellschaftliche Kontroversen über Massentierhaltung und ähnliches komplett aus. Das erschwert eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Zugleich wird der Eindruck erweckt, dass die bestehenden Regeln ausreichten und es unnötig wäre, politisch etwas an den Zuständen zu ändern.  

Was versprechen sich die Unternehmen davon? Führen diese Strategien zu messbaren Erfolgen?

Das ist schwer zu sagen, weil es keine Daten dazu gibt. Aber: Viele Unternehmen stecken sehr viel Geld in solche Lobby-Aktionen. Das machten die wahrscheinlich nicht, würde es sich nicht lohnen. Und was Werbung angeht, so ist lange bekannt, dass sich eine frühe Markenbindung für die Unternehmen auszahlt. Die Hoffnung ist, dass die Kinder einer Marke ein Leben lang treu bleiben, wenn sie frühzeitig mit ihr in Verbindung kommen. 

Die meisten Schulen in Deutschland sind klamm, sollen aber eine möglichst moderne Lernumgebung bieten. Ist es da nicht verständlich, wenn Schulen Technik oder Unterrichtsmaterial von Unternehmen annehmen? 

Die Schulen stecken hier tatsächlich in einem Dilemma. Deswegen sehen wir die Verantwortung ganz klar bei der Politik. Sie hat dafür zu sorgen, dass Schulen über ausreichend Mittel verfügen – und nicht darauf angewiesen sind, dass ihnen große Konzerne nach Gutdünken mal hier ein paar Tablets spendieren, dort Unterrichtsmaterialien. Leisten können sich diese Form der Einflussnahme nur finanzstarke Unternehmen. Wer kein Geld hat, dessen Botschaften bleiben ungehört.  

Was schlagen Sie für die Zukunft vor? Externe Unterrichtsmaterialien verbieten?

Nein, aber die Politik sollte endlich dem Trend zu mehr Werbung und Meinungsmache im Unterricht einen Riegel vorschieben. Das heißt nicht, Unterrichtsmaterialien externer Anbieter generell zu verbieten oder Unternehmen oder Verbände aus den Schulen zu verbannen. Schule soll sich nicht von der Gesellschaft abschotten. Aber sie muss wissen, mit wem sie es zu tun hat. Deswegen brauchen wir mehr Transparenz, wer genau hinter diesen Angeboten steht, wer sie finanziert, sie beauftragt hat. Das würde auch den Lehrkräften einen kritischen Umgang mit diesen Materialien deutlich erleichtern.

Das Interview mit Felix Kamella führte der Berliner Journalist Thomas Wischniewski.

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