Datum: 05.11.2022

„Ausprobieren, vernetzen und die Schülerwünsche einbeziehen“

„Verbraucherbildung ist das sinnhafteste Unterrichtsfach, weil es die Schüler befähigt, auf eigenen Beinen zu stehen“, davon ist Ann-Kristin Erdmann, Lehrerin an der Dannwerkschule in Schleswig-Holstein, fest überzeugt. Das Curriculum des Landes für das Fach Verbraucherbildung ging ihr jedoch nicht weit genug und so hat sie es kurzerhand insbesondere um einen Praxisteil ergänzt. Dafür wurde sie mit dem Bundespreis Verbraucherschutz 2022 ausgezeichnet. Im Interview erzählt sie, welche weiteren Ergänzungen an ihrer Schule vorgenommen wurden, und wie jede Lehrkraft praktische Verbraucherbildung umsetzen kann. Das Wichtigste: „Traut euch einfach!“ 

Ann-Kristin Erdmann

Sie haben den Bundespreis Verbraucherschutz 2022 erhalten, weil Sie ein Curriculum für Verbraucherbildung entwickelt und das Fach im Stundenplan fest verankert haben. Wie kam es dazu?
Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Bis 2008 gab es an den Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein das Fach Haushaltslehre. Ich selbst habe dieses Fach als Schülerin geliebt und wusste schon früh, dass ich das unterrichten möchte. Also habe ich in Flensburg am Institut für Ernährungs- und Verbraucherbildung studiert. In den meisten Schulen wurde der Schwerpunkt im Fach Hauswirtschaft aber auf das Kochen gelegt. Mir war das zu einseitig und ich wollte mehr Fröhlichkeit in dieses Fach bringen. Deshalb habe ich zusammen mit meiner Kollegin, Elisabeth Koch, ein Curriculum entworfen, das an unserer Schule auch umgesetzt wurde. 2009 hat Schleswig-Holstein dann als erstes Bundesland das Fach Verbraucherbildung eingeführt und den Schulen dazu drei Curricula auf der Moodle-Plattform zur Verfügung gestellt. Unsere Schule hat sich davon das ausgesucht, das unserem bisherigen Curriculum am ähnlichsten war und es dann noch ausgebaut. 

Was heißt „ausgebaut“?
Das Curriculum des Landes ist nur für die Klassen 7 bis 10. Wir sind aber der Meinung, dass auch Fünft- und Sechstklässler schon in Verbraucherbildung unterrichtet werden sollten, weil es sie befähigt, auf eigenen Beinen zu stehen, und damit eines der sinnhaftesten Fächer ist. Also haben wir das Curriculum des Landes um ein Curriculum für die Klassen 5 und 6 ergänzt. Und uns fehlte unser Steckenpferd: Mini-Projekte, bei denen man etwas Praktisches macht. Eine solche Aktion steht bei uns immer am Ende eines jeden Themas. Wir haben das nun in unserem Curriculum aufgegriffen und ein paar Beispiele aufgenommen. 

Was beinhaltet Ihr Curriculum für die Klassen 5 und 6?
Für beide Jahrgangsstufen sind jeweils drei große Lernfelder vorgesehen. Bei den Fünftklässlern sind das "die Rolle als Verbraucher", "Lebensführung als Potential" und "Esskultur sowie Technik der Nahrungszubereitung". Jedes Lernfeld hat mehrere Unterthemen. Bei der Rolle als Verbraucher haben wir zum Beispiel Werbung, eine Supermarktrallye, Einkauf und die Tragweite der Handlungen im Internet aufgelistet. 
Für die Klasse 6 haben wir die Lernfelder "Ernährungs- und Gesundheitsförderung", "Wirtschaftliche und nachhaltige Lebensführung" und "Esskultur und Technik der Nahrungszubereitung" eingeplant. Beim letzten Themenfeld lernen die Schüler:innen beispielsweise alternative Ernährungsformen sowie Esskulturen aus anderen Ländern kennen. 
Für beide Jahrgänge gleich ist, dass die Themenfelder bis zu den Osterferien abgeschlossen sein sollten. Denn danach sieht unser Curriculum einen Praxisteil vor. Für die Sechstklässler haben wir dieses Jahr zum Beispiel erstmals die „Kinderküche on Tour“ gebucht. Vor allem aber geht es viel in den Schulgarten.    

Was steckt hinter den Mini-Projekten, die Sie im Curriculum eingeführt und eben angesprochen haben? 
Wir haben zum Beispiel, nachdem wir das Thema „nachhaltiger Konsum“ besprochen hatten, einen Foodsharing-Schrank im Stadtteil unserer Schule eingerichtet. Aber es muss gar nicht immer so etwas Großes sein. 
Um das Thema „Ressourcen nutzen“ praktisch umzusetzen, kann man auch einfach – sofern vorhanden - in den Schulgarten gehen und dort Früchte oder Kräuter ernten und verarbeiten. Das geht in einer Stunde. Was groß klingt, aber auch einfach durchzuführen ist, ist eine Handy-Sprechstunde. Dabei sind bei uns zum Abschluss des Themas „Soziale Netzwerke“ Senior:innen mit ihren Smartphones in die Schule gekommen und haben sich von einen bis drei Schüler:innen erklären lassen, wie was funktioniert. Wir haben bis heute Anfragen, wann wir das wieder anbieten. 
Umgekehrt haben die Senioren mal in einer Stunde alte Haushaltsgeräte mitgebracht und den Jugendlichen erklärt, wie diese Geräte funktionieren. Oder wir haben Senior:innen – in dem Fall die Großeltern unserer Schülerinnen und Schüler - zum Backen eingeladen. Sie haben vorab ihre teils 100 Jahre alten Rezepte geliefert, die Schüler haben dann eingekauft und dann wurde gemeinsam gebacken. Das sind tolle Sachen, die schnell umsetzbar sind. Allerdings braucht man dazu gute Kontakte. Mein Rat an Kolleginnen und Kollegen, die praktische Aktionen in die Verbraucherbildung integrieren wollen, lautet daher ganz klar, sich zu vernetzen - zum Beispiel mit der benachbarten Senioreneinrichtungen, mit Unternehmen, aber auch mit Universitäten oder anderen Schulen in der Gegend, die Verbraucherbildung anbieten. 

Haben Sie noch weitere Tipps, die auch in Bundesländern umgesetzt werden können, in denen Verbraucherbildung kein eigenes Fach ist? 
Der vielleicht wichtigste Rat lautet: Traut euch einfach, Dinge auszuprobieren! Natürlich geht auch mal was in die Hose oder funktioniert überhaupt nicht so, wie man sich das vorgestellt hat. Aber selbst das bringt die Jugendlichen meist weiter. Außerdem sollten die Schülerinnen und Schüler einbezogen werden. Fragt nach deren Wünschen und Bedürfnissen. 
Ein weiterer Rat: digitale Medien einbeziehen. Es gibt so tolle Tools, wie zum Beispiel Wordwall, damit kann man ganz tolle Sachen machen und sich wunderbar austoben. Noch ein Tipp lautet: auf aktuelle Themen eingehen – wie derzeit die Energiekrise und das geforderte Energiesparen. Da sprechen die Schüler:innen ohnehin drüber und man muss  gar nichts an den Haaren herbeiziehen. Manchmal lohnt es sich auch, Themen einfach einen anderen Namen zu geben. Wir haben zum Beispiel den Themenbereich „Konsumverhalten“ – was sehr altmodisch klingt – in den Themenbereich „Greenwashing Adventures“ umbenannt. Darauf springen die Schüler:innen viel mehr an. 

Wo finden Sie selbst Anregungen und Ideen? 
Meistens in meinem normalen Alltag, zum Beispiel wenn ich im Supermarkt einkaufe, oder ich sehe etwas in den Nachrichten und daraus entsteht eine Idee. Denn wenn man genau schaut, dann ist eigentlich alles Verbraucherbildung. 

Ann-Kristin Erdmann, Lehrerin für Verbraucherbildung, zusammen mit ihrer Team-Kollegin

Quelle: Ann-Kristin Erdmann