Datum: 28.10.2016

„Lehrkräfte wollen unabhängige Qualitätstests von Unterrichtsmaterial“

Interview mit Bettina Busse, Leiterin des Projekts „Lehrkräfteportal Digitale Kompetenzen“ beim Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

(c) stefan stefancik - unsplash.com - CC0

Schulbücher gibt es nicht nur mit Zulassung der Schulaufsicht. Inzwischen tummeln sich im Netz Legionen „nicht-offizieller“ Unterrichtsmaterialien ganz unterschiedlicher Anbieter. Wie Lehrerinnen und Lehrer sie einsetzen und was sie von ihnen halten, wollte der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. wissen. Bettina Busse, Projektleiterin beim vzbv, hat die Umfrage mit konzipiert. Ihre Erkenntnisse teilt sie im Interview.

Frau Busse, Sie haben rund 400 Lehrkräfte befragt, ob und wie sie externe Unterrichtsmaterialien nutzen. Was haben Sie herausgefunden?

Dass externe Unterrichtsmaterialien im Schulalltag eine große Rolle spielen. Von den von uns befragten Lehrerinnen und Lehrern nutzen 71 Prozent sie mehrmals in der Woche. Und neun von zehn Lehrkräften geben an, dass externe Materialien für sie genauso relevant sind wie reguläre Schulbücher. Sie nutzen sie etwa nicht nur in Vertretungsstunden, sondern auch im regulären Fachunterricht.

Spricht etwas dagegen?

Das kommt sehr auf die Qualität der Materialien an. Anders als die meisten zugelassenen Schulbücher durchlaufen sie kein Begutachtungsverfahren. Das heißt, niemand prüft, ob die Inhalte zum Beispiel dem Neutralitätsgebot folgen oder zu indoktrinieren versuchen.

Wer bietet externe Materialien an?

Das ist ganz unterschiedlich: Verbände, Verlage, Nichtregierungsorganisationen,  die öffentliche Hand, Unternehmen. Vertrauen schenken die von uns befragten Lehrerinnen und Lehrer vor allem den Materialien der öffentlichen Hand und der Schulbuchverlage. Materialien, die aus der Wirtschaft stammen, werden kritischer beäugt. Für vertrauenswürdig halten sie 55 Prozent der Befragten. Das hat uns überrascht.

Warum?

Wir haben vor zwei Jahren rund 450 Bildungsmedien analysiert. In Sachen Qualität schnitten wirtschaftsnahe Publikationen signifikant schlechter ab als Materialien nicht-kommerzieller Interessensverbände oder der öffentlichen Hand. Dass jede zweite Lehrkraft die Publikationen von Unternehmen generell als vertrauenswürdig erachtet, gibt vor diesem Hintergrund schon zu denken.

Was schlagen Sie vor?

Eine unabhängige Qualitätskontrolle externer Unterrichtsmaterialien. Das wünschen sich auch 76 Prozent der von uns Befragten. Sie erhoffen sich davon einerseits die Gewährleistung eines hohen Standards bei den Angeboten. Andererseits sollen die Prüfkriterien auch die Auswahl erleichtern.

Was sollte geprüft werden?

Das haben wir die Lehrerinnen und Lehrer auch gefragt. Ihr Anspruch an die Qualität von Lernmaterialien ist, dass sie werbefrei, unparteiisch, tendenzfrei und sachgerecht sein sollen. Außerdem wünschen sie sich einen besseren Überblick zu den didaktischen Konzepten der Materialien. Ob sie alltagstauglich sind oder zielgruppengerecht und methodisch abwechslungsreich.

Klingt nach einem erheblichen Prüfungsaufwand …

Aufwändig ist das. Aber mit dem Materialkompass des vzbv exerzieren wir ja seit langem vor, dass es geht. Unabhängige Bildungsexperten prüfen dafür Materialien aus dem Themenkreis Verbraucherbildung nach transparenten Kriterien. Lehrkräfte können sich damit leichter orientieren. Die Anbieter wiederum erhalten Standards, um ihre Angebote zu optimieren.

Brauchen wir für alle Fächer ein solches Angebot?

Den Bedarf für unabhängige Qualitätsprüfungen gibt es, wie auch unsere Erhebung zeigt. Aber wir haben hier keinen Alleinvertretungsanspruch oder meinen, dass nur wir eine unabhängige Prüfung gewährleisten können. Was wir denken, ist, dass wir mit unserem Prüfverfahren schon einen sehr guten Maßstab setzen, an den sich anknüpfen lässt.

Was hätten die Lehrerinnen und Lehrer davon?

Lehrkräfte stehen immer größeren Anforderungen gegenüber. Gerade bei den digitalen Kompetenzen sollen sie auf der Höhe der Zeit sein und sich auch selbständig fortbilden. Eine unabhängige Qualitätsprüfung würde ihnen diese Arbeit etwas erleichtern. Sie fänden schneller Orientierung im Wust der verfügbaren Materialien. Gleichzeitig würde die Prüfung dazu beitragen, das Niveau der Angebote insgesamt zu heben. Wir sind überzeugt, dass auch die Unterrichtsqualität davon letztlich stark profitieren würde.