Datum: 14.09.2015

„Politik und Wirtschaft müssen sich um die Misere in der Textilindustrie kümmern“

Fünf Fragen an… Dr. Bettina Musiolek von der Clean Clothes Campaign

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Quelle: (c) gisela burckhardt / femnet kampagne fuer saubere kleidung

Hungerlöhne, sexuelle Übergriffe, Behinderung gewerkschaftlicher Organisation. Die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie sind auch in den Ländern des Balkans übel. Warum das so ist und wer dafür verantwortlich zeichnet, weiß Dr. Bettina Musiolek von der Clean Clothes Campaign. Fünf Fragen an sie. 

1. Frau Dr. Musiolek, Sie haben auf dem Balkan die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie angeschaut. Was haben Sie gesehen?

Dass die Lage dort nicht besser ist als in Südostasien. Die Näherinnen verdienen dort sogar oft weniger. Eine chinesische Arbeiterin trägt im Schnitt 180 Euro im Monat nach Hause, eine aus dem EU-Land Bulgarien nur 150 Euro. Aber in Bulgarien kriegt man für das Geld deutlich weniger als in China. Und die Hungerlöhne sind nicht das einzige Problem. Die gewerkschaftliche Arbeit wird flächendeckend untergraben und sexuelle Übergriffe sind an der Tagesordnung. 

2. Wer ist für diese Missstände verantwortlich?

Nicht die Verbraucherinnen und Verbraucher. Es sind die Politik und die Modehändler. Die Regierung in Bulgarien zum Beispiel hat den gesetzlichen Mindestlohn auf die genannten 150 Euro festgesetzt und begründet das mit der Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Geld kann zum Überleben nicht reichen. Die großen Modehändler wiederum drücken bei ihren Einkaufstouren die Preise und spielen die unzähligen Hersteller weltweit gegeneinander aus. Dadurch bestimmen sie die Arbeitsbedingungen.  

3. Was können Verbraucherinnen und Verbraucher denn tun? 

Jeder Verbraucher, jede Verbraucherin kann zum Beispiel beim Kauf eines neuen Mantels oder einer Hose im Geschäft nachfragen, was die Näherin eigentlich verdient hat. Das wird oft unbeantwortet bleiben. Aber sie senden damit ein Signal, das bei den Händlern ankommt. Und die reagieren auf solche Nachfragen sensibel, weil sie ihre Reputation in Gefahr sehen, ihre Marke und deren Wert.

4. Was kann Schule machen? 

Schule sollte den immer stärker um sich greifenden maßlosen Konsum etwas entgegensetzen. In den ostdeutschen Bundesländern etwa hat sich Studien zufolge die Zahl der Kaufsüchtigen zwischen 1994 und 2014 mehr als verzehnfacht, in den westdeutschen Ländern immerhin verdoppelt. Schule sollte Kinder und Jugendliche gegen diese Maßlosigkeit impfen, sie zu selbstbewussten Menschen – Bürgerinnen und Bürgern - erziehen, denen Kaufen nicht alles bedeutet.   

5. Passiert da schon genug?

Im Gegenteil: Wir erleben ja, dass immer mehr Unternehmen mit eigenen Unterrichtsmaterialien in die Schulen drängen und darin über die Hintertür für ihre Sachen werben. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Was wir brauchen, sind nicht mehr Börsenspielchen im Unterricht. Wir brauchen junge Menschen, die ihren Konsum kritisch hinterfragen und global Denken.