Geldgeschäfte, gesunde Ernährung, klimafreundlicher Konsum – im Schleswig-Holsteinischen Wilster haben diese Themen einen prominenten Platz im Unterricht. Die dortige Gemeinschaftsschule wird seit Ende Oktober von der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz als Modellschule für Verbraucherbildung gefördert, als eine der bundesweit ersten.
Was es mit diesem Modell auf sich hat, weiß Dorothea Venzke. Die Fachlehrerin für Verbraucherbildung und Englisch hat die Neuausrichtung ihrer Schule maßgeblich mit entwickelt und erklärt im Interview, wie ihre Schülerinnen und Schüler davon profitieren.
Frau Venzke, Verbraucherbildung steht in Schleswig-Holstein schon seit 2009 auf dem Lehrplan der Sekundarstufe 1. Wozu braucht es da noch Verbraucherschulen?
Die braucht es, um durch ein positives Vorbild Mut zu machen. Wir setzen Verbraucherthemen im Unterricht um, und das mit konkreten Praxisbeispielen. Konsum – wie wir uns ernähren, was wir kaufen, wie wir uns kleiden – hat in unserer Gesellschaft ja einen enorm hohen Stellenwert bekommen. Schon das rechtfertigt unser spezielles Schulprofil. Unsere Schülerinnen und Schüler lernen, ihre Konsumentscheidungen kritisch zu überprüfen. Wir wollen, dass sie unsere Schule als selbstbestimmte und reflektierende Verbraucher verlassen.
Was steht auf dem Stundenplan?
Verbraucherbildung wird bei uns in Schleswig-Holstein in der Sekundarstufe 1 in zwei Kernbereichen unterrichtet: „Konsum und Lebensstil“ sowie „Ernährung und Gesundheit“. Diesen Kernbereichen sind jeweils mehrere Lernfelder zugeordnet, zum Beispiel „Die Rolle als Verbraucher“, „Wirtschaftliche und nachhaltige Lebensführung“ oder „Ernährung und Gesundheitsförderung“. Diese Kernthemen greifen wir in den einzelnen Jahrgangsstufen immer wieder auf, inhaltlich aufeinander aufbauend und immer aus neuen Blickwinkeln.
Wie sieht der Unterricht konkret aus?
In der Klasse 5 beschäftigen wir uns im Fach Verbraucherbildung beispielsweise mit selbsthergestelltem Essen und vergleichen es mit Fertigprodukten. Die Schülerinnen und Schüler führen Sensoriktests durch, stellen Kosten-Nutzen-Überlegungen an oder schauen, wo die Fertigprodukte herkommen und wie sie hergestellt wurden. Es geht also nicht nur um ernährungsphysiologische oder hauswirtschaftliche Aspekte, sondern auch um ökologische, ökonomische oder psychologische – um die Frage etwa, warum man ein Produkt unbedingt haben will und was man sich davon erhofft. Wir wollen ja zur Reflektion anregen.
Und in den höheren Jahrgangsstufen?
In der Klasse 10 geht es unter anderem um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Da besuchen unser Schüler zum Beispiel Händler und fragen, warum die ein bestimmtes Produkt im Sortiment haben, andere aber nicht. Das ist ein höherer Abstraktionsgrad als in den unteren Klassen, aber genauso konsumrelevant. So können unsere Schülerinnen und Schüler ihre Konsumkompetenzen Jahr für Jahr vertiefen.
Was macht Ihre Schule besonders?
Unter anderem, dass wir mit Experten von der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein oder Schuldnerberatern kooperieren. So können wir sicherstellen, dass wir in der Schule immer auf das aktuellste Fachwissen zurückgreifen können. Handytarife, Rentenvorsorge, Geldgeschäfte – das sind ja alles Themen, die sich rasend schnell entwickeln. Unsere außerschulischen Partner wissen da am besten, was aktuell Sache ist. Wir Lehrkräfte können uns dadurch auf die methodisch-didaktische Aufbereitung im Unterricht konzentrieren.
Wie sieht diese Aufbereitung aus?
Uns geht es in erster Linie um individualisiertes Lernen. Unsere Schüler haben ganz unterschiedliche familiäre Hintergründe. Es geht nicht darum zu sagen: Bei euch zuhause ist alles richtig, bei euch alles falsch. Wir orientieren uns an dem, was die Schüler mitbringen. Unterricht gestalten wir so, dass sie daran andocken und dazulernen können. Wir wollen sie dazu anleiten, das Mitgebrachte zu reflektieren und bei Bedarf zu verändern.
Wenn ein Schüler nichts ändern will?
Dann kann ich das nicht erzwingen. Uns geht es nicht um richtig oder falsch. Dass eine Ananas, die tausende Kilometer transportiert wurde, nicht gut für die Umwelt ist, verstehen Jugendliche sofort. Ob sie dann die Ananas nicht kaufen, ist eine andere Sache. Deswegen geht es uns in der Verbraucherbildung nicht um bloße Wissensvermittlung. Es geht uns mehr um die Vermittlung einer Haltung. Da muss etwas bei den Schülern passieren. Und das wollen wir in Gang setzten.
Sehen Sie sich dafür ausreichend gerüstet?
Methodisch-didaktisch absolut. Inhaltlich ebenso, auch dank unserer Partner. Was ein Problem bleibt: unser Nachwuchs. Die universitäre Lehrerausbildung im Fach Verbraucherbildung ist in Schleswig-Holstein hervorragend. Aber: Wir haben viele Studierende mit ersten Staatsexamen, die hier in Schleswig-Holstein in Verbraucherbildung ausgebildet wurden, aber in unserem Bundesland keinen Referendariatsplatz in diesem und einem zweiten Fach bekommen. Da wandert viel Wissen in andere Bundesländer ab. Das muss sich ändern.
Was sagen die Eltern eigentlich zu Ihrem Modellvorhaben?
Die Resonanz auf unsere Auftaktveranstaltung Ende Oktober war überwältigend. Ich denke, vielen Eltern, auch vielen Schulverantwortlichen und Lokalpolitikern, wurde da erst klar, wie wichtig Verbraucherbildung ist – für den Einzelnen und für die Gesellschaft. Viele Eltern wollen ihre Kinder zu uns schicken. Wegen unserer Ausrichtung als Verbraucherschule. Und weil sie sehen, dass wir eine Schule sind, die sich engagiert.