Inklusion ist das Megathema der Bildungspolitik – neben der Digitalisierung. Daher ist es verwunderlich, dass diese zwei Bereiche nicht häufiger zusammen betrachtet werden. Denn gesellschaftliche Teilhabe ist ohne Medien nur schwer denkbar. Inklusive Medienbildung heißt hier das Zauberwort. Gleichzeitig können neue Medien helfen, die Herausforderung der Inklusion zu meistern – auch in der Schule.
Es braucht nicht viel für ein inklusives Medienprojekt. Das wichtigste ist die gemeinsame Aufgabe – und ein spannendes Thema. Das "Netzwerk Inklusion mit Medien - Nimm!“ lässt die Jugendlichen daher selbst nach einer spannenden Geschichte suchen. „Drunter, drüber, drauf“ lautet das übergeordnete Motto der Jugendworkshops „Nimm-on-Tour-2017“ und lässt damit viel Raum für Kreativität. Die erste Gruppe der Zwölf- bis 16-Jährigen hat sich entschieden, daraus eine Story über „Stress im Alltag einer Familie“ zu machen, die sie gemeinsam als Comic und als Film umsetzen. „Es war uns wichtig, kein Thema zu wählen, das sich um inklusive Inhalte dreht“, erklärt die Medientrainerin von „Nimm!“, Selma Brand. „Wählt man ein Thema wie ‚Barrierefreiheit in der Stadt‘ oder ‚Leben mit einer Autismus-Spektrumsstörung‘ impliziert das, dass inklusive Projekte eine Besonderheit sind und auch immer ein entsprechendes Thema haben müssen.“
Und darum gehe es bei der inklusiven Medienarbeit ja gerade nicht, wie auch Anne Haage vom Institut für Rehabilitationswissenschaften der Technischen Universität Dortmund erklärt: Nicht die Beeinträchtigung sollte im Fokus stehen, sondern die Berücksichtigung vielfältiger Heterogenitätsdimensionen. „Inklusive Medienbildung setzt stark auf aktive Medienarbeit als methodischen Ansatz, das heißt gemeinsam etwas mit Medien zu produzieren. So verstanden ist es ein Beitrag zur Inklusion, wenn Schülerinnen und Schüler auf Augenhöhe zusammenarbeiten, etwas über Selbst- und Fremdwahrnehmung lernen und ihre Themen einbringen“, so die Expertin für inklusive Medienbildung. Dadurch entstünden gemeinsame Erfahrungs- und Kommunikationsräume.
Kreative Medienarbeit dank neuer Technik
Selma Brand hat erlebt, dass Pädagogen im Vorfeld häufig Bedenken bezüglich der Machbarkeit inklusiver Medienprojekte hätten. Sie selbst ist als Inklusions-Scout in verschiedenen Bildungseinrichtungen unterwegs und versucht, den Teilnehmern die Sorgen zu nehmen: „Die Jugendlichen arbeiten selbstverständlich miteinander, treffen Entscheidungen gemeinsam und entwickeln schnell ein Gespür dafür, wo die Kompetenzen der Einzelnen liegen.“ Auch gebe es dank neuer digitaler Techniken bei der Medienarbeit so viele verschiedene Aufgaben, dass immer für jeden etwas dabei sei. „Ob digitale Fotocollage, Audio-Werbespot, Internetblog, Kurzfilm oder sogar ein kleines, selbstprogrammiertes Spiel: Die Möglichkeiten der kreativen Medienarbeit wachsen täglich.“ Fundierte Programmiertechniken oder ein eigenes Fotolabor sind schon längst nicht mehr notwendig. Zudem gebe es entsprechende Tutorials und Apps, die bei der Umsetzung unterstützen können.
Selma Brand stellt jedoch eines ganz deutlich heraus: „Inklusive Medienarbeit bedeutet nicht, dass Projekte soweit ‚heruntergebrochen‘ werden, dass auch jemand mit starker geistiger Beeinträchtigung jeden einzelnen Arbeitsschritt nachvollziehen kann.“ So halten die Medienpädagogen von „Nimm!“ immer kleine Extras für erfahrene Teilnehmer bereit. Dazu zählen zum Beispiel Making Offs, eine Vorstellung aller Projektteilnehmenden, die Covergestaltung oder auch kleine Apps, die Produktionen ergänzen können.
Neue Medien als Hilfsmittel im Alltag
Insgesamt ist die Verbindung von sonder- und medienpädagogischen Themen noch ein recht junges Forschungsfeld. Inhalt ist sowohl die praktische Vermittlung von Medienkompetenz für Menschen mit Behinderung, als auch die Frage, wie digitale Medien aktiv für Inklusionsprozesse genutzt werden können, beispielsweise als assistive Techniken und Hilfsmittel im Alltag. Wie Dr. Christian Bühler in dem Buch „Medienbildung im Zeitalter der Inklusion“ schreibt, bieten vor allem neue Medien großes Potential, unterschiedlichste Inhalte den Menschen gemäß ihrer Fähigkeiten anzubieten. Wie eine Studie der Aktion Mensch bereits 2011 herausstellte, nutzen Menschen mit Behinderung das Internet beispielsweise, um Personen zu erreichen, mit denen sie sonst nicht in Kontakt kommen könnten oder auch zur selbstständigen Informationsrecherche.
Gleichzeitig achten immer mehr Anbieter von Webseiten darauf, ihre Seiten barrierefrei zu gestalten. Barrierefreiheit im Internet bedeutet, dass alle Benutzer die Webseite wahrnehmen können. Wenn eine gehörlose Person Audio-Clips nicht hören kann und eine blinde Person Bilder und Text nicht sehen kann, werden ihnen für diese Elemente alternativen angeboten. Dabei kann es sich zum Beispiel um Untertitel für Audio- und Videodateien handeln oder die Möglichkeit, sich die Texte auf der Internetseite vorlesen zu lassen. Außerdem gehört zur Barrierefreiheit, dass die Inhalte übersichtlich und in leicht verständlicher Sprache präsentiert werden. Wie digitale Angebote barrierefrei gestaltet werden können und wie auch Medienprojekte für Menschen mit Behinderung zugänglich werden, zeigt beispielsweise die Broschüre vom Medienkompetenz-Netzwerk NRW „Inklusive Medienbildung auf einen Blick“.
Die Stiftung „Barrierefrei Kommunizieren!“ geht noch einen Schritt über barrierefreies Internet hinaus und stellt sich die Frage, wie moderne Technologien Menschen mit verschiedenen Behinderungen bei der Nutzung von Computern und Internet unterstützen können. Wie kann man beispielsweise einen Computer auch ohne Berührung und nur mit den Augen, den Füßen oder dem Mund steuern? Oder wie können Bildschirmlesegeräte helfen, damit Menschen mit Sehbehinderung doch Texte im Internet lesen können?
Inklusive Medienbildung in der Schule
Selma Brand beobachtet, dass in den meisten Schulen grundsätzlich die Bereitschaft vorhanden ist, neue Medien zu nutzen und auch Medienprojekte zu etablieren. Anne Haage von der Technischen Universität Dortmund hat jedoch den Eindruck, dass das Potential digitaler Medien und aktiver Medienarbeit noch zu wenig im inklusiven Unterricht genutzt wird. „Es fehlt sicherlich bei Regelschul-Lehrkräften an Wissen und Erfahrung mit aktiver Medienarbeit, mit assistiven Technologien und erleichterter Bedienung“, so Haage. Ebenso wie andere Experten auf diesem Gebiet würde sie sich wünschen, dass Medienbildung und Inklusion schon in der Lehrerausbildung stärker verankert und zusammengedacht wird.
Das Netzwerk Inklusion mit Medien „Nimm!“ hat auf seinem Blog einige Anregungen für Medienprojekte sowie App-Empfehlungen und Linklisten zusammengestellt, die im Schulalltag nützlich sein können. Es werden verschiedene Anbieter barrierefreier Lernsoftware und leicht zu bedienende Medienproduktions-Apps wie „Stop Motion Studio“ oder der „BookCreator“ vorgestellt. Als Inklusions-Scout gibt Selma Brand Lehrkräften außerdem diesen Tipp: „Ich würde mit einer kleinen Einheit – einer digitalen Fotocollage zu einem Thema oder einem Audio-Soundrätsel – beginnen und nicht direkt ein umfangreiches Videoprojekt planen.“ Auch sei es durchaus sinnvoll, Tablets einzusetzen, da sie sehr leicht zu bedienen sind und Hürden für alle Beteiligten senken. Auch blinde Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel mit Hilfe vorinstallierter Screenreader wie TalkBack (Android) und VoiceOver (iOS) Tablets nutzen und mitarbeiten.
„Der wichtigste Tipp ist aber: loszulegen, es einfach zu machen“, so die Medienpädagogin. „Ziel ist es aus meiner Sicht nicht, einmalig ein großes Projekt zu realisieren, sondern Medien als Methode selbstverständlich in den pädagogischen Alltag zu integrieren.“ Was inklusive Medienarbeit noch heißen kann, welche Methoden funktionieren und wo es weitere Anregungen gibt – zu diesen Fragen organisiert „Nimm!“ am 14. September ein Barcamp in Düsseldorf. Diese Fachtagung mit dem Titel „Camp Nimm!“ setzt sich vor allem mit aktuellen Medientrends und inklusiven Entwicklungen in der Bildungslandschaft auseinander.