Die Umsetzung einer Schülerfirma ist mit viel Vorbereitung und Organisation verbunden – aber der Aufwand lohnt sich. Welche Schritte dabei konkret geplant und welche Hindernisse bedacht werden sollten, berichten zwei Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis.
Für Lehrerin Michèle Seven war die Gründung einer Schülerfirma ein Sprung ins kalte Wasser, wie sie selbst sagt: „Ein Sprung, der unglaublich viel Spaß gemacht hat.“ Zwar wächst das Angebot an Informationen und Lehrmaterialien in diesem Bereich stetig an und an vielen Schulen gehören Schülerfirmen inzwischen zum Schulalltag, dennoch lässt sich die praktische Durchführung nur begrenzt planen. Denn jede Schülerfirma ist letztendlich anders – und genau das macht die Methode so wertvoll. Durch die Verflechtung mit der realen Welt kommt es in einem hohen Maße auf die Schüler:innen an, auf ihre individuellen Stärken und Schwächen, ihre Interessen und Talente. Durch die Gründung einer eigenen Firma lernen sie nicht nur wirtschaftliche Zusammenhänge und Arbeitsprozesse kennen, sondern haben die Chance, Verantwortung zu übernehmen, eigene Ideen zu entwickeln, und im Team zu arbeiten.
Diese Praxisorientierung war es auch, was Michèle Seven motiviert hat, die Methode zusammen mit ihrer Kollegin Kirsten Göttling am Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasium Berlin auszuprobieren. Dazu haben sie sich in Absprache mit der Schulleitung dazu entschieden, die zwei Ergänzungskursen der Oberstufe „Studium und Beruf“ parallel stattfinden zu lassen, um dieses eher aufwendige Projekt gemeinsam zu realisieren. Das war im Schuljahr vor der Corona-Pandemie. Entstanden ist dabei die nachhaltige Schülerfirma „Only you(th)“ (inzwischen unbenannt in „Reprint“). Die Idee ist, dass Kunden ihre (alten) T-Shirts mitbringen und mit umweltfreundlicher Farbe neu bedrucken lassen, entweder mit einem von der Firma entwickelten Logo oder auch mit selbst entworfenen Motiven.
Gratwanderung zwischen Selbstständigkeit und wirtschaftlichem Erfolg
Der Weg zu diesem inzwischen erfolgreichen Unternehmen war zu Beginn allerdings ziemlich holprig, wie Michèle Seven ohne Frust zugibt. Typischerweise gibt es laut der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung „Zehn Schritte zur Schülerfirma“, an denen sich auch die Berliner Lehrerinnen orientiert haben. Doch schon die Entwicklung einer Produkt- beziehungsweise Geschäftsidee, die am Beginn jeder Gründung steht, habe länger gedauert als gedacht. „Wir alle mussten zu Beginn lernen, unsere Ansprüche herunterzuschrauben, auch weil im Rahmen der Schule und ohne die nötigen Fachräume nicht alle Ideen umsetzbar sind“, so Michèle Seven. Hinzu kamen Kommunikations- und Abstimmungsschwierigkeiten. Für die beiden Lehrerinnen war diese Phase geprägt von einem ständigen Austarieren. „Wir mussten einen sinnvollen Weg finden – zwischen dem Wunsch, der Kurs die komplette Verantwortung zu überlassen, und dem Versuch, die Firma auch zum Erfolg zu führen“, stellt Michèle Seven in der Rückschau fest.
Mit diesem Gefühl ist sie nicht alleine. Laut Isabelle Penning, die sich wissenschaftlich mit der Methode Schülerfirma auseinandergesetzt hat und auch selbst schon welche gegründet hat, gibt es drei Typen von Lehrkräften: den Typ „Safety first/profit first“, den Typ „Selbstständigkeitsförderer“ und den „Gratwanderer“. „Die ‚Gratwanderer‘ erleben das Spannungsverhältnis zwischen dem Gewinnstreben als wirtschaftliches Ziel und der Selbstständigkeitsförderung als pädagogisches Ziel besonders stark“, so Penning.
Vorbereitung: Was Lehrkräfte vor Beginn bedenken sollten
Isabelle Penning gibt ein einfaches Beispiel: Eine Lehrperson gründet mit ihrer Klasse eine Catering-Schülerfirma und möchte im Sinne der Selbstständigkeit die Verantwortung für die Auftragsakquise komplett an die Schüler:innen abgeben. Das Problem ist, dass die Firma und damit der Lernprozess zum Erliegen kommen, wenn Aufträge ausbleiben. Daher ist die Lehrkraft versucht, sich doch stärker zu involvieren, um den wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen. Somit stellen die Stärken der Schülerfirma als Lernarrangement – ihr Echtheitscharakter und der hohe Lebensweltbezug – gleichzeitig die größten Herausforderungen dar. „Man sollte sich also vorher überlegen, was man seinen Schülerinnen und Schülern gerne vermitteln will und wie ihre Erfahrungen in einen größeren thematischen Kontext und das Fachcurriculum eingebettet werden können“, rät Penning. „Das macht viele Entscheidungen später einfacher.“
Es sind vor allem drei Ziele, die Expert:innen der Methode Schülerfirma zuschreiben: Die Orientierung in der Berufs- und Arbeitswelt, die Förderung eines unternehmerischen Geistes sowie die Förderung persönlicher Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme. Zudem können soziale Aspekte und Fragen von Ökologie, Nachhaltigkeit und fairem Handel zum Thema werden. Jedoch dürfe der mit der Schülerfirma angestrebte Kompetenzerwerb im Eifer des Gefechts nicht aus den Augen verloren werden, mahnt Isabelle Penning: „Das besondere an Schülerfirmen ist zwar, dass die Jugendlichen richtige Produkte und Dienstleistungen anbieten, mit echtem Geld und am realen Markt hantieren, es bringt aber nichts, wenn die Firma zwar wirtschaftlich erfolgreich ist, aber keine Zeit für die gemeinsame Reflexion eingeplant wird.“
Scheitern muss erlaubt sein
Ganz wichtig sei dabei: Scheitern als mögliche Option einzuplanen. „Die Aufgabe der Lehrkraft ist es ja nicht, ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen zu gründen, sondern vor allem, den geeigneten Rahmen für Lehr-Lernprozesse bereitzustellen“, so Penning, „und in diesem Rahmen sollte Platz für Fehlentscheidungen sein.“ Das bedeute für Lehrkräfte, dass Scheitern durch eine entsprechende Reflexion im Unterricht zu wirksamen Lehr-Lernprozessen führen kann.
Für Lehrerin Michèle Seven und ihren Kurs „Studium und Beruf“ stand diese Erkenntnis relativ am Anfang des Projekts. „Bei uns lief vieles nach der Trial-and-Error-Methode, das hat auf jeden Fall manchmal länger gedauert, dafür haben die Schüler:innen andere wichtige Kompetenzen erlernt: Gruppenprozesse zu strukturieren, miteinander zu kommunizieren, selbstständig Entscheidungen zu treffen“, sagt Seven rückblickend. Und nachdem dann die T-Shirt-Idee geboren war, verlief die weitere Umsetzung zum Glück ziemlich erfolgreich und die Jugendlichen teilten sich in verschiedene Abteilungen mit eigenen Verantwortlichkeiten auf: die Geschäftsführung, die Finanzabteilung, die Abteilung für Produktdesign und so weiter.
Die Umsetzung der Schülerfirma „Only You(th)“
Die Abteilung für Marketing organisierte beispielsweise eine Marktanalyse inklusive Umfragen in allen Klassen, die mit Hilfe einer AG der Sekundarstufe I durchgeführt wurden. Die Finanzabteilung reichte die Idee bei dem Wettbewerb der „Berliner Klimaschulen“ ein – und erhielt die beantragte Anschubfinanzierung. Damit konnte der Kurs eine Siebdruckmaschine sowie umweltfreundliche Farbe anschaffen. „Zum Abschluss des Schuljahres gab es dann einen ersten Verkaufsstand mit den T-Shirts“, erzählt Michèle Seven. Danach haben die Oberstufenschüler:innen den Staffelstab sozusagen an den nächsten Ergänzungskurs weitergegeben, der nun die Aufgabe hat, das Produkt bekannter zu machen, weitere Gelder zu akquirieren sowie die Produktion und den Verkauf weiterzutreiben.
Schaut Michèle Seven auf dieses erste, aufregende Jahr zurück, hat sich der Aufwand ihrer Meinung nach gelohnt. Sie und ihre Kollegin Kirsten Göttling sind mit den Schüler:innen auf eine besondere Weise zusammengewachsen, haben viel positives Feedback aus dem Kurs bekommen und für sich selbst gelernt, flexibel und ergebnissoffen zu agieren. Gleichzeitig haben sie aber durch die anfänglichen Schwierigkeiten gelernt, was man noch besser machen könnte. „Ich habe gemerkt, dass die Lerngruppe nicht zu groß sein darf, weil es sonst einfach nicht genug Aufgaben gibt und sich einzelne Schüler leichter rausnehmen können. Auch würde ich empfehlen, schon einige Produktideen in der Hinterhand zu haben und sich mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzuschließen, die zum Beispiel handwerklich begabt sind und bei der Umsetzung helfen können“, gibt Michèle Seven anderen Lehrkräften als Tipp mit auf den Weg. Ansonsten gelte: Einfach trauen!