Datum: 25.04.2017

Superfoods und Nahrungsergänzung – Doping für gute Zensuren?

Werbung mit Wirkstoffen

(c) Pexels CC0

„Snack dich fit!“ Welcher Jugendliche würde dieser Aufforderung nicht gerne nachkommen? Oder wie wäre es mit besserer Leistung in der Schule, wie sie ein „Mind-Snack“ in Aussicht stellt? Gesteigerte Gesundheit, Fitness, Schönheit und Wohlbefinden – diese Werbeversprechen verschiedener Anbieter sind verbunden mit exotisch klingenden Lebensmitteln wie Acaí, Chia, Goji oder Moringa. Schaut man jedoch genauer hin, sind diese als Superfood bezeichneten Lebensmittel gar nicht so super – vor allem, wenn sie als Nahrungsergänzungsmittel in Kapsel- oder Pulverform eingenommen werden.

Eine genaue Definition, was Superfoods eigentlich sind, gibt es bisher nicht. Meist handelt es sich um pflanzliche Lebensmittel, die von Natur aus einen hohen Gehalt an einzelnen Nährstoffen, Enzymen oder Pflanzenstoffen aufweisen. „Ein Superfood ist vor allem ein Lebensmittel mit einer super Werbung“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Angela Clausen, „das Prinzip ist immer gleich: Um diese Lebensmittel herum wird immer eine schöne Geschichte gewoben, die von fremden Völkern und fernen Kontinenten erzählt, wo die Menschen uralt werden oder bestimmte Krankheiten nicht bekommen.“ Die entsprechenden Wirknachweise fehlten aber in der Regel oder basierten auf Untersuchungen, die ausschließlich im Labor stattfänden. Dadurch seien es reine Reagenzglaswerte, wie die oft genannten ORAC-Werte zur Wirkung von Antioxidantien. Trotzdem ist die Werbung für Superfoods erfolgreich, wie Angela Clausen beobachtet, denn: „Natur kommt an!“

Die Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (NRW) warnt davor, die als Superfoods bezeichneten Lebensmittel nach dem Motto „je mehr, desto besser“ bedenkenlos zu konsumieren. Zwar höre sich Mango-Granat-Apfel-Konzentrat-Pulver natürlich gesund an, sei jedoch auch nichts anderes als ein Nahrungsergänzungsmittel. Auf Nachfrage beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit heißt es: „Nahrungsergänzungsmittel sind für gesunde Personen, die sich ausgewogen und abwechslungsreich ernähren, in der Regel überflüssig, dies gilt auch für Kinder und Jugendliche. Sie sind auch kein Ersatz für eine entsprechende Ernährungsweise mit viel Obst und Gemüse. Eine einseitige, unausgewogene Ernährungsweise kann nicht durch Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ausgeglichen werden.“

Eine repräsentative forsa-Umfrage, die im Auftrag der Verbraucherzentralen erstellt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass dennoch jeder dritte Befragte (35 Prozent) Nahrungsergänzungsmittel einnimmt. Das ergibt in Deutschland einen Markt mit einem Umsatz von über einer Milliarde Euro. „Vielen Verbrauchern ist dabei häufig nicht bekannt, dass Nahrungsergänzungsmittel zu den Lebensmitteln und nicht zu den Arzneimitteln zählen“, so Wiebke Franz, Referentin für Marktbeobachtung und Öffentlichkeitsarbeit für die Verbraucherzentrale Hessen. Das bedeute, dass Nahrungsergänzungsmittel kein Zulassungsverfahren wie Arzneimittel durchlaufen und für ihre Sicherheit ausschließlich die Hersteller verantwortlich seien. Wiebke Franz weist dabei besonders auf ein Problem hin: „Für Nahrungsergänzungsmittel sind nach wie vor gesetzlich keine Höchstmengen für die enthaltenen Nährstoffe wie Vitamin und Mineralstoffe festgelegt. Bei einer zu hohen Zufuhr ist mit unerwünschten, teils gesundheitsschädlichen Wirkungen zu rechnen.“

Health Claims: Regeln für die Werbung

Um Verbraucher vor irreführenden Angaben zu schützen, gibt es seit 2007 strikte Regelungen, die gesundheitsbezogene Aussagen im Zusammenhang mit Lebensmitteln beschränken oder sogar verbieten – die sogenannte Health-Claims-Verordnung der EU. Demnach müssen Aussagen zu gesundheitlichen Wirkungen (Health Claims) von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft und von der EU zugelassen sein. Die Liste an zugelassenen Claims ist bisher noch recht kurz. Die Linderung oder Heilung von Krankheiten zu versprechen ist für Lebensmittel und damit Nahrungsergänzungsmittel grundsätzlich verboten. „Aussagen, dass Krankheiten vorgebeugt wird oder der Fettabbau steigt, sind in der Regel auch nicht erlaubt – oder müssen noch wissenschaftlich bewiesen werden“, so Wiebke Franz.

Die Verbraucherzentralen sind berechtigt, auf Grundlage des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb und irreführende Aussagen Abmahnungen auszusprechen. So zum Beispiel bei dem Produkt „Mind Master“, das vom Anbieter als Mittel für mehr Leistungsfähigkeit angepriesen wurde. Die Aussage „Neutralisiert oxidativen Stress, schützt die Körperzellen, Mehr Energie für Körper und Geist“ ist im Sinne der Health-Claims-Verordnung nicht zulässig und das Landgericht Münster hat die Verwendung dieser gesundheitsbezogenen Aussage für das Nahrungsergänzungsmittel untersagt.

Das Problem: Viele Firmen mit Sitz im Ausland halten sich nicht an die Beschränkungen oder nutzen sehr schwammig formulierte Gesundheitsaussagen. Laut Wiebke Franz verließen sich zudem viele Anbieter auf die Tatsache, dass das Internet ein schwer kontrollierbarer Raum sei. Angela Clausen weist auf eine weitere Lücke hin: „Vieles läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda. Ratgeberbücher unterliegen zum Beispiel keiner Verordnung, ein Autor darf natürlich seine Meinung sagen.“ So reihen sich in den Regalen der Buchhandlungen Titel wie „Die 50 besten Superfoods: Gesundheit kann man essen“ oder „Superfoods: Iss dich vital, gesund und schön.“

Höhere Kosten durch besseres Marketing

Solange die gesetzlichen Regelungen noch Lücken aufweisen, liegt die Verantwortung auch bei den Verbrauchern selbst. „Man muss leider sagen: Es erfordert schon eine Menge Wissen, wenn man nicht auf die Werbesprüche der Industrie hereinfallen möchte“, gibt Angela Clausen zu bedenken. Ihre Hoffnung liegt auch bei den Schulen, die Kindern beispielsweise die Nährwertkennzeichnung näherbringen, Werbeaussagen unter die Lupe nehmen und über mögliche gesundheitliche Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln aufklären können. Niemals dürften Kinder das Gefühl bekommen, Nahrungsergänzungsmittel seien dazu da, (Schul-)Leistungen zu steigern, bestimmten Krankheiten vorzubeugen oder sie zu heilen.

Wichtig sei daher auch eine gewisse Medienkompetenz, erklärt Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale Hessen: „Im Internet sollte man grundsätzlich misstrauisch sein. Viele Kinder und Jugendliche wissen zum Beispiel nicht, dass es sich bei einigen ‚Erfahrungsberichten‘ und Empfehlungen in Blogs oder auf Facebook um versteckte Werbung handelt.“ Bei Superfoods sieht die Ernährungsexpertin sogar noch weiteren Aufklärungsbedarf: „Immer wieder sind Superfoods mit so genannten Schadstoffen belastet und sind zudem im Vergleich zu heimischen Gemüse und Früchten sehr teuer.“

Zu Beginn des Jahres hat die Zeitschrift „Ökotest“ eine Auswertung veröffentlicht – mit ernüchternden Ergebnissen. In stichprobenartig eingekauften Goji-Beeren, Chia-Samen und anderen Superfoods fanden die Tester Pestizide und Giftstoffe wie Mineralölverbindungen und Schwermetalle im grenzwertigen Bereich. „Bei Superfoods sollten außerdem ökologische Risiken beachtet werden“, so Wiebke Franz, „gerade weil sie exotisch sind, haben sie häufig lange Transportwege hinter sich. Auch wissen wir oft nicht, wie die Anbaubedingungen in den entsprechenden Ländern aussehen.“

Kurz gesagt: Man zahlt bei Superfoods vor allem für das Gefühl, sich gesund zu ernähren. 100 Gramm Açai-Pulver kosten schnell mal 17 Euro, ein „Superfood-Drink“ mit Chia-Samen zwölf Euro – das kann das Portemonnaie eines Jugendlichen belasten. „Man muss Superfoods nicht verteufeln, natürlich können sie – wenn sie nicht gerade in Kapselform genommen werden – den ein oder anderen Speiseplan bereichern“, zieht Wiebke Franz ihr Fazit, „aber man sollte sich schon Gedanken machen, warum man diese Lebensmittel zu sich nimmt und dafür mehr Geld ausgibt.“ An dieser Stelle könnten Schulen ebenfalls ansetzen und die Schüler über regional und saisonal angebaute Produkte aufklären. Leinsamen, Nüsse und rote Beeren hören sich vielleicht nicht so außergewöhnlich an, können aber auch als Superfood gelten – ohne die Kosten fürs Exotische.
 

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