Datum: 06.11.2019

Selbstinszenierung Jugendlicher im Internet

Selbstfindung zwischen Filtern, Likes und Influencern

© Rene Asmussen - pixabay - CC0 Public Domain

Bei der Suche nach Anerkennung gehören „Likes“ für Jugendliche zur wichtigsten Währung. Dadurch wächst für sie der Druck, sich ständig perfekt zu präsentieren und in Szene zu setzen, wobei ihnen Influencerinnen und Influencer häufig als Vorbild dienen. Für Lehrkräfte ein schwieriges Thema – doch über die Frage, was eigentlich Schönheit ist, kann man sich ihm auch im schulischen Kontext sinnvoll annähern.

Die sozialen Medien sind aus dem Leben junger Erwachsener nicht mehr wegzudenken – und das muss zunächst einmal nichts Negatives sein, wie die Medienwissenschaftlerin Maya Götz im Interview deutlich macht. „Die Zeit der Pubertät ist immer durch Selbstfindung bestimmt. Wir sprechen hier von Identitätsarbeit und dabei findet schon immer auch der Abgleich mit Peers statt.“ Soziale Medien würden hier auch eine Lücke füllen, da Jugendliche dort beispielsweise Facetten von sich zeigen könnten, die in der Schule und im Alltag nicht sichtbar würden. Es sei aber leider so, dass diese positiven Seiten immer weniger genutzt würden, meint Maya Götz.

Es gibt mittlerweile es eine ganze Reihe von Studien, die den Einfluss von sozialen Medien und insbesondere von Influencerinnen und Influencern auf Jugendliche belegen. Sie weisen beispielsweise auf einen Zusammenhang zwischen der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und einem hohen Medienkonsum hin. Vor allem die Plattform Instagram, die die Nutzer mit einer Fülle an perfekt inszenierten Bildern konfrontiert, steht bei vielen Studien im Fokus. Maya Götz forscht regelmäßig zu diesem Thema und hat ihre Ergebnisse unter anderen in dem Aufsatz „Die Selbstinszenierung von Influencerinnen auf Instagram und ihre Bedeutung für Mädchen“ zusammengefasst. Dort schreibt sie: „Influencerinnen haben für Mädchen eine nachweisbare und bedeutende Vorbildfunktion in der Selbstinszenierung. Sie erkennen sie unhinterfragt als Ideal an und versuchen, ihnen in Aussehen, Gestik, Mimik, Orten etc. zu folgen. Hierbei werden die immer wieder gleichen Posen maskeradenhaft repetiert.“ Man könnte also sagen, anstatt in den sozialen Netzwerken ihre Individualität zu zeigen, passen sich viele Jugendliche immer weiter an ein scheinbares Ideal an und zeigen so ein eher stereotypes Bild von sich.

Teufelskreis aus Filtern und Likes

Zudem nutzen die Jugendlichen – Mädchen wie Jungen – Filter, um das scheinbar perfekte Bild zu kreieren. Dadurch könne sich eine gefährliche Dynamik entwickeln, erklärt Maya Götz: „Mädchen machen sich durch Filter häufig schlanker, Jungs muskulöser. Und wenn sie dann für diese bearbeiteten Bilder besonders viele Likes bekommen, kann bei ihnen der Eindruck entstehen, ihr Körper reicht nicht so, wie er eigentlich ist. Man empfindet sich selbst als mangelhaft.“. Das könne sogar so weit führen, dass junge Menschen eine Art Trainingssucht oder Essstörungen entwickeln. Zuletzt führte das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) gemeinsam mit der Hochschule Landshut eine Studie zu diesem Thema durch. Das Ergebnis: Speziell Fitness-Influencerinnen, die besonders junge Frauen ansprechen, regen zu vermehrtem Training und zur Nachahmung ihres Essverhaltens an und könnten so Mädchen und Frauen auf ihrem Weg in die Essstörung begleiten.

Daran zeigt sich, dass soziale Medien längst auch die analoge Welt beeinflussen. Das gilt auch in Bezug auf die Selbstinszenierung. Man muss sich nicht extra bei Instagram anmelden, um zu verstehen, dass die Flut an perfekten Bildern im Internet nicht spurlos an den Jugendlichen vorbeigeht – es reicht ein Blick auf die Schulhöfe in Deutschland. In der Regel stellt man dann fest, dass sich vor allem die Mädchen hier überraschend ähnlich sehen – die Art, wie sie sich kleiden, ihre Frisuren, ihr Make-up.

Inszenierte Authentizität

„Wir sehen auch im analogen Bereich eine extreme Anpassung und eine Verengung dessen, was wir als schön und natürlich empfinden“, fasst die Medienwissenschaftlerin Maya Götz diese Beobachtung zusammen. Es ist eine Entwicklung, die in den sozialen Netzwerken begonnen hat, und nun sozusagen in die echte Welt überschwappt. „Ich finde, das sollten wir uns immer wieder klarmachen“, mahnt Maya Götz, „wenn wir es der Industrie und der Konsumwirtschaft überlassen, unsere Frauen- und Männerbilder zu prägen, dann werden diese immer stereotyper.“ 

Diese ständige Suche nach Anerkennung kennt auch Elke Stolzenburg, medienpädagogische Referentin am Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF) nur zu gut. „Es geht immer um Likes. Es ist ein Wert, mit dem sich Jugendliche vergleichen können und der anzeigt, wie gut sie online ankommen“, so die Medienpädagogin. Dadurch könne es jedoch auch zu einer leichten Form von Suchtverhalten kommen: Wenn ein Bild beispielsweise 30 Likes bekommen hat, will man beim nächsten mindestens genauso viele bekommen, besser noch mehr.

Elke Stolzenburg spricht in diesem Zusammenhang auch von „inszenierter Authentizität“. Vor allem die Mädchen versuchten, authentisch zu wirken, würden sich aber auf der Suchen nach Anerkennung inszenieren und Stereotypen nacheifern. Sie selbst führt regelmäßig Workshops mit Jugendlichen durch, in denen sie den Gebrauch von sozialen Medien reflektiert und in diesem Zusammenhang auch über Selbstdarstellung spricht. Sie weiß daher, wie viel Fingerspitzengefühl bei diesem Thema erforderlich ist – und wie schwierig es daher für Lehrerinnen und Lehrer ist, es im regulären Unterricht aufzugreifen. Dennoch hat sie ein paar Tipps, wie es gelingen kann.

„Bin ich schön!?“

Sie selbst nähert sich dem Thema Selbstinszenierung beispielsweise ganz allgemein über das Thema Schönheit an und kann dieses Vorgehen auch Lehrkräften empfehlen. So bietet das JFF beispielsweise einen Workshop mit dem Titel „Bin ich schön!?“ an, in dem Elke Stolzenburg Schülerinnen und Schülern Schönheitsideale in den verschiedenen Jahrhunderten zeigt und mit Jugendlichen darüber spricht, was für sie Schönheit bedeutet. Diesen Inhalt, da ist sich die Medienpädagogin sicher, könnte man auch in der Schule umsetzen.

Sie spricht dann mit den Jugendlichen auch noch über die Frage, was sie selbst tun und posten, um anderen zu gefallen. Diesen Teil hingegen würde sie im Schulunterricht eher weglassen – zumal, wenn die Schülerinnen und Schüler das Gefühl haben, sie werden dafür benotet. „Wenn ich das Thema Selbstinszenierung wirklich bearbeiten will, dann muss ich tiefer einsteigen“, sagt Elke Stolzenburg. „Dabei geht es um die Persönlichkeiten der Jugendlichen selbst. Dafür reichen 45 Minuten nicht aus. Ich kann in 45 Minuten aber darüber reden, wie sich andere inszenieren.“. Das Schlüsselwort an dieser Stelle lautet für sie Kompetenzen. Schülerinnen und Schüler müssten lernen zu reflektieren, wie bestimmte Inhalte im Netz auf sie wirken und welche Wirkung sie vielleicht durch ihre Fotos hervorrufen. 

Diese Empfehlung kann Maya Götz nur unterstützen. Für sie gehört zu den nötigen Medienkompetenzen außerdem hinzu, den Beruf des Influencers zu hinterfragen. Die Jugendlichen müssten verstehen, was dahintersteckt, wenn sich Influencerinnen in einer bestimmten Weise im Netz inszenieren, wie sie ihr Geld verdienen und dass es auch andere Ansätze und Profile gibt. Stichwort „Body Positivity“. „Es gibt inzwischen einige bekannte Profile von jungen Frauen, die sich auch mal mit einer Fettrolle fotografieren, die sich selber nicht filtern und eben diese positive Auseinandersetzung mit ihrem Körper zeigen, der nicht den aktuellen Idealen entspricht“, erläutert Maya Götz.

Die Gender-Frage stellen

Ein weiterer Aspekt, den beide Expertinnen zum Ende hin noch erwähnen, ist die Frage nach der Geschlechterverteilung im Internet. „Wir haben in den sozialen Medien derzeit ein Geschlechterbild, das vermittelt, Männer und Frauen seien komplett unterschiedlich – was sie nicht sind“, fasst Maya Götz ihre Beobachtung zusammen. Sie sieht mit Sorge, dass Frauenbilder immer stereotyper werden. Wie eine aktuelle Studie der MaLisa Stiftung, für die die 100 beliebtesten YouTube-Kanäle ausgewertet wurden, zeigt, präsentieren sich 71 Prozent der Frauen auf YouTube in ihrer eigenen Wohnung, geben Schminktipps und thematisieren Hobbies wie Basteln, Nähen und Kochen. Männer zeigen sich hingegen häufiger im öffentlichen Raum und bedienen ein deutlich breiteres Themenspektrum: von Unterhaltung über Musik bis zu Games, Comedy und Politik.

Daraus leitet Elke Stolzenburg einen weiteren Tipp für Lehrkräfte ab: „Sprechen Sie offen über diese Klischees und Geschlechterrollen!“. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche, wenn sie erst einmal anfangen, ihre Vorbilder zu hinterfragen und alternative Rollenbilder wahrnehmen, eher bereit sind, auch ihr eigenes Online-Verhalten zu überdenken. Ihr Wunsch: Mehr Individualität – online und offline. (lmi)

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