Datum: 11.03.2008

Virtuelles Wasser: der verborgene Wasserverbrauch

Ökologische und soziale Verträglichkeit unseres verborgenen Wasserkonsums

virtueller Wasserverbrauch Kaffee

Quelle: (c) rawpixel.com - CC0

Wer morgens sein Tässchen Kaffee trinkt, verbraucht nicht nur das Wasser in der Tasse. Schon zuvor floss eine vielfache Menge Wasser in den Anbau der Bohnen und ihre Verarbeitung - für eine Tasse Kaffee ganze 140 Liter. Sichtbar ist dieser Wasserverbrauch nicht, Experten sprechen daher von virtuellem Wasser.

Wer morgens sein Tässchen Kaffee trinkt, verbraucht nicht nur die 200 Milliliter Wasser in der Tasse. Schon zuvor floss eine vielfache Menge Wasser in den Anbau der Bohnen und ihre Verarbeitung - für eine Tasse Kaffee ganze 140 Liter. Sichtbar ist dieser Wasserverbrauch nicht, Experten sprechen daher von virtuellem Wasser. Real bleibt dieser Konsum trotzdem. In Deutschland beträgt er bis zu 4.000 Liter pro Person und Tag, Tendenz steigend.

Die meisten Menschen dürfte das erst einmal erstaunen. Schließlich gilt der durchschnittliche Trinkwasserverbrauch in Deutschland seit den 1980er Jahren als rückläufig. Der tägliche Durchschnitt pro Kopf hat sich bei rund 130 Litern eingependelt. Das gilt aber auch eben nur für den sichtbaren Konsum. Der Verbrauch an verstecktem, virtuellem Wasser nimmt dagegen stetig zu.

Mit dem Kunstbegriff "Virtuelles Wasser" beschreiben Fachleute die Menge Wasser, die in einem Produkt enthalten ist beziehungsweise zu seiner Fertigung verwendet wurde. Ganz neu ist das nicht. J.A. Allan, seines Zeichens Wasserexperte am Londoner King’s College, prägte den Begriff schon Mitte der 1990er Jahre. Allan beschrieb mit diesem Modell den am Produktionsstandort anfallenden Wasserverbrauch, der gleichzeitig am Ort der Verwendung eingespart wird. In die Bilanz nahm der Wissenschaftler außerdem den Wasseranteil auf, der bei der Produktion durch Verschmutzung unbrauchbar wird.

Eine Tasse Kaffee = 140 Liter Wasser

Eine solche Bilanz lässt sich am eingangs genannten Beispiel Kaffee nachzeichnen. Die Kaffeebohne wächst selbstverständlich nur, wenn sie bewässert wird. Außerdem müssen die Bohnen verarbeitet werden, was weiteres Wasser verbraucht oder verschmutzt. Laut einer Berechnung des Institute for Water Education der UNESCO (UNESCO-IHE) summiert sich das bei einer Tasse Kaffe auf insgesamt 140 Liter virtuelles Wasser, die vor dem Aufbrühen der Bohnen in ihr aufgehen.

Im Vergleich zu anderen Produkten ist das immer noch relativ wenig. Das Bundesumweltministerium etwa schreibt, dass die Produktion eines Autos mit bis zu 400.000 Litern zu Buche schlägt und schon die Produktion eines nur zwei Gramm schweren Computerchips über 30 Liter Wasser erfordert. In die Produktion von einem Kilo Käse fließen 5.000 bis 5.500 Liter. Und für die Herstellung von einem Kilogramm Rindfleisch veranschlagen Experten einen virtuellen Wasserbedarf von 14.000 bis 22.000 Liter.

Dass die Angaben für das Rindfleisch so variieren, liegt unter anderem daran, dass es so etwas wie eine "Weltdurchschnittskuh" nicht geben kann. Der virtuelle Wasserbedarf bei der Aufzucht hängt ganz entscheidend davon ab, was für eine Rinderart wie gehalten wird. Steht das Rind den ganzen Tag auf der Weide und kann sich an frischem Gras gütlich tun? Oder fristet es sein Dasein in einem Stall, wo es vorrangig mit Kraftfutter gemästet wird, das womöglich erst importiert werden musste? Sicher ist: Je mehr Wasser in die Futtermittel und sonstige Versorgung des Rindes fließt, desto höher ist die im Steak steckende virtuelle Wassermenge.

Virtueller Wasserverbrauch in Deutschland: 4.000 Liter täglich - pro Person

Der virtuelle Wasserkonsum übersteigt unseren realen Verbrauch um ein Vielfaches. Laut Arbeitskreis Wasser (AK Wasser) im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU) konsumiert jeder Mensch schon mit seiner täglichen Nahrung über 2.300 Liter virtuelles Wasser. In einem Industrieland liege der Bedarf aufgrund des höheren Konsums sogar bei rund 4.000 Litern täglich. Es gibt also einen direkten Zusammenhang zwischen dem steigenden virtuellen Wasserverbrauch und den Lebens- und Konsumstilen der Menschen in den reichen Industrienationen.

Es gibt aber auch einen direkten Zusammenhang zwischen dem steigenden virtuellen Wasserverbrauch und der Globalisierung der weltweiten Handelsströme. Die hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass der Ort der Herstellung und der Ort des Verbrauchs eines Gutes immer häufiger nicht mehr identisch sind. Das ist nicht grundsätzlich schlecht. Durch den globalisierten Handel können etwa viele Produkte preiswerter angeboten werden, da sie in Ländern hergestellt werden, die zu einem Bruchteil der hierzulande entstehenden Kosten produzieren können. Die Verbraucher auf den Abnahmemärkten profitieren von niedrigen Preisen, in den Produzentenländern werden Arbeitsplätze geschaffen.

Andererseits hat diese Suche nach dem billigsten Produktionsstandort erheblich dazu beigetragen, dass andere Aspekte bei der Entscheidung für einen Standort in den Hintergrund rücken - etwa die ökologische oder soziale Verträglichkeit. Das gilt auch für so alltägliche Produkte wie Obst und Gemüse, wie das Beispiel der südspanischen Hafenstadt Almeria zeigt. Aus der Region rund um die Stadt stammen immerhin zehn Prozent des deutschen Frucht- und Gemüseimports. Und auch wenn Almeria weit weg ist - durch staatlich subventioniertes Wasser in Spanien und die minimalen Transportkosten ist der Anbau trotzdem wirtschaftlicher als beispielsweise in Deutschland.

 

Folgen des steigenden virtuellen Wasserverbauchs

Wirtschaftlich mag das Sinn machen. Ökologisch ist es ein Desaster, das durch billiges Obst und Gemüse nicht aufgewogen wird. Denn obwohl die andalusischen Obst- und Gemüsebauern inzwischen auf ihren riesigen Plantagen effizientere Bewässerungssysteme nutzen, wirtschaften sie weiterhin in einem von Natur aus wasserarmen Gebiet. Das natürliche Wasservorkommen in Almeria reicht für den Anbau bei Weitem nicht aus, der AK Wasser beziffert das jährliche Defizit auf rund 270 Millionen Kubikmeter ganz reales Wasser. Die Grundwasserreserven vor Ort seien in einem Maße erschöpft, dass mittlerweile auch Reservoirs in über ein Kilometer Tiefe angezapft würden. Dadurch ströme Meerwasser nach, was eine allmähliche Versalzung des Grundwassers zur Folge habe, so die Experten.

  Der Export von Gütern mit einem hohen Anteil virtuellen Wassers hat nicht nur Konsequenzen für die Umwelt. Der Wasserexport birgt auch die Gefahr neuer Auseinandersetzungen. Das gilt insbesondere dann, wenn Regionen ohnehin an Wasserknappheit leiden. Wird das in den Produkten steckende virtuelle Wasser ausgeführt, geht es der Region verloren, was den Wasserstress erhöhen und unter Umständen zu Konflikten führen kann. Selbst wenn es nicht so weit kommt, verschlechtert der höhere Wasserstress die Lebensbedingungen für Mensch und Tier massiv.

Das Bundesumweltministerium führt dazu das Beispiel der Blumenzucht in Kenia an. Dort wurden allein im Jahr 2001 zirka 52 Millionen Tonnen Blumen für ausländische Märkte produziert. Die Bewässerung gewährleistete dabei das Wasser aus dem ökonomisch und ökologisch wichtigen See Naivasha. Für viele Menschen und Tiere bedeutet diese Wasserentnahme eine zunehmende Verknappung dieses lebenswichtigen Lebensmittels, durch Dünger und Pflanzenschutzmittel droht zudem eine Vergiftung des Gewässers. Gleichzeitig leiden bereits drei Millionen Kenianerinnen und Kenianer unter Wasserknappheit.

Deutschland ist Wasserimporteur

Blumenliebhaber aus anderen Ländern nehmen damit jenem Teil der lokalen Bevölkerung in Kenia, der nicht an den Erlösen der Blumenproduktion teilhat, die Existenzgrundlage. Hinter einem solchen Import von wasserreichen Produkten verbirgt sich also oft eine versteckte Aneignung von Wasser durch die wohlhabenderen Länder zu Lasten (wasser-) armer Regionen. Über den "Umweg virtuelles Wasser" werden so gigantische Wassermengen auf der Welt umverteilt. Die Wissenschaft unterscheidet daher schon zwischen Wasserexporteuren und Wasserimporteuren. Zur letztgenannten Gruppe zählt auch Deutschland.

Zwar stehen laut Bundesumweltministerium für die rund 82,5 Millionen Bundesbürger pro Kopf und Tag potenziell 6.241 Liter zur Verfügung. Dennoch reicht diese Menge nicht aus, um auch den virtuellen Wasserbedarf der Deutschen in vollem Umfang zu decken. Ein Großteil des Wasserkonsums wurde daher schon faktisch ins Ausland verlagert.

Laut UNESCO-IHE liegt der gesamte Verbrauch virtuellen Wassers in Deutschland bei 1.545 Kubikmeter pro Person und Jahr. Das sind über 1,5 Millionen Liter pro Jahr und Kopf oder eben rund 4.000 Liter pro Tag. 53 Prozent dieses virtuellen Wasserverbrauchs stillen wir dabei mit dem Wasser aus anderen Ländern. Zum Vergleich: In Kenia liegt dieser sogenannte Wasserfußabdruck bei lediglich 714 Kubikmeter pro Person und Jahr. Und nur ein Zehntel des Bedarfs wird durch Importe gedeckt.

Wege aus der virtuellen Wasserfalle

Dass Deutschland also noch keine Wüste ist, liegt auch daran, dass wir enorme Mengen virtuellen Wassers importieren. Andernorts drohen die Wasservorräte dadurch zu schrumpfen. Sollen diese Umverteilung und die damit einhergehenden Folgen nicht weiter ausufern, sind verschiedene Strategien denkbar.

Effizientere Bewässerungstechniken und der Abbau von Wasserpreis-Subventionen in den Anbaugebieten sind ein Weg. Ein anderer Weg wäre es, den Anbau von Produkten mit hohem Wasserbedarf in wasserreiche Gegenden zu verlagern. Nur: Politisch durchsetzbar ist das kaum, auch wenn es ökonomisch und ökologisch Sinn machen würde. Schließlich lässt sich wohl kein souveräner Staat vorschreiben, wie er sein Bruttosozialprodukt zu erwirtschaften hat.

Soll die gewaltige Umverteilung virtuellen Wassers wieder in nachhaltigere Bahnen gelenkt werden, müssen letztlich die Verbraucher Verantwortung übernehmen. Ein Anfang wäre schon mit dem Verzicht auf importierte Früchte und die Bevorzugung regionaler, ökologischer Waren gemacht. Dazu sind immer mehr Verbraucher bereit.

Noch treffen sie diese Konsumentscheidung für regionale oder biologische Produkte aber nicht aus Sorge um den zu hohen virtuellen Wasserverbrauch, sondern aus gesund-heitlichen, sozialen oder anderen ökologischen Motiven heraus. Soll bei diesen Kaufentscheidungen auch der virtuelle Wasserverbrauch eine Rolle spielen, muss dafür zunächst ein Bewusstsein geschaffen werden. Voraussetzung dafür sind nachvollziehbare Informationen, die ein Kennzeichen auf wasserintensiven Produkten fördern könnte.

Stand: März 2008

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